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Wenn der ADHS-Zappel-Philipp erwachsen ist

von Redaktion Millefolia

Von Fabrice Müller

Nicht nur Kinder und Jugendliche, auch Erwachsene leiden unter ADHS-Symptomen. Diese reichen von innerer Unruhe bis zu Leistungsproblemen am Arbeitsplatz. Was sind die Ursachen? Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Stefan H. (Name geändert) galt früher in der Schule als Zappel-Philipp. In Fächern wie Mathematik oder Geometrie, die ihn nicht interessierten, war er stets unkonzentriert und ungenügend. Das sei heute noch so, meint der 55-jährige. «Wenn mich ein Thema interessiert, habe ich keine Probleme mit der Konzentration.“ Dass der Kommunikations- und Projektleiter eines KMU-Betriebs ein ADHS-Patient ist, stellte sich erst mit 40 Jahren heraus.

Wenn man weiss, dass man ADHS hat, kann man besser damit umgehen und sich entsprechend verhalten.

Verbessert haben sich die Symptome, zu der auch Schlafstörungen zählten, durch eine kognitive Verhaltenstherapie, eine konsequente Ordnung, ein gutes privates und berufliches Umfeld und eine bewusste Lebensweise. Ritalin nimmt er fast nie. «Wenn man weiss, dass man ADHS hat, kann man besser damit umgehen und sich entsprechend verhalten.“

Vom Kindes- ins Erwachsenenalter

ADHS wurde in den vergangenen Jahren meist mit Kindern und Jugendlichen in Verbindung gebracht. Weniger bekannt ist, dass auch Erwachsene von ADHS-Symptomen betroffen sind. Laut Marion Wenke, Oberärztin der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD), geht man davon aus, dass etwa die Hälfte der Kinder, die von ADHS betroffen sind, auch im Erwachsenenalter weiterhin die Kriterien eines ADHS erfüllen. «Voraussetzung für eine ADHS-Diagnose im Erwachsenenalter ist jedoch immer, dass die Symptome schon in der frühen Kindheit begonnen haben. Zusätzlich muss eine relevante Funktionseinbusse im Leben der Betroffenen vorliegen», gibt Marion Wenke zu bedenken.

Typisch für ADHS-Betroffene sind ein ineffizienter, chaotischer Arbeitsstil mit Schwierigkeiten bei der Handlungsplanung und Umsetzung.

Von innerer Nervosität bis Hyperaktivität

Unkonzentriertheit, ein impulsives Verhalten sowie Hyperaktivität zählen zu den klassischen ADHS-Verhaltensmustern. «Über die Lebensspanne hinweg kann es bei Erwachsenen zu einem leichten Symptomwandel kommen, indem sich die einst äussere Unruhe zu einer inneren Nervosität oder Rastlosigkeit entwickelt», sagt Marion Wenke.

Über die Lebensspanne hinweg kann es bei Erwachsenen zu einem leichten Symptomwandel kommen, indem sich die einst äussere Unruhe zu einer inneren Nervosität oder Rastlosigkeit entwickelt.

Beim hyperaktiven Subtyp des ADHS treten gehäuft auch Schlafstörungen auf. Kennzeichnend sind weiterhin ein ineffizienter, chaotischer Arbeitsstil mit Schwierigkeiten bei der Handlungsplanung und Umsetzung, was nicht selten Probleme in der Alltagsbewältigung nach sich zieht, so die Oberärztin. Trotz oft guter Begabung haben die Betroffenen manchmal Mühe, einen berufsqualifizierenden Abschluss zu erzielen; nicht wenige bleiben dabei unter ihrem eigentlichen Leistungspotenzial. Vor dem Hintergrund von raschen impulsiven Stimmungsschwankungen bei ADHS-Betroffenen kommt es gehäuft auch zu Missverständnissen und Konflikten in Beziehungen. «Andererseits findet man», so Marion Wenke, «nicht selten Betroffene, die durch ihre Spontanität und Kreativität sowie die Fähigkeit zur interessenbezogenen Fokussierung in einigen Berufen ihre Qualitäten besonders gut und erfolgreich einbringen können».

Biologisch-genetisch bedingt

Was weiss man über die Ursachen von ADHS? «In bis zu 70 Prozent der Fälle ist die Ursache biologisch-genetisch bedingt», sagt Marion Wenke. Dabei scheinen gewisse Regelkreise im Gehirn nicht mehr in der Art zu funktionieren, wie es für ein optimales Zusammenspiel der Hirnareale nötig wäre. Zudem spielt ein Ungleichgewicht von Nervenbotenstoffen eine entscheidende Rolle.

In bis zu 70 Prozent der Fälle ist die Ursache biologisch-genetisch bedingt.

Etwa 30 Prozent der Ursachen von ADHS sind gemäss der Psychiaterin auf Umweltfaktoren zurückzuführen. Dazu zählen unter anderem Schwangerschaftskomplikationen, Alkohol- oder Nikotinkonsum von werdenden Müttern sowie diverse Schadstoffe, Infektionen oder Verletzungen des Gehirns. «In der heutigen Zeit wird das Auftreten von ADHS oft auch im Zusammenhang mit der zunehmenden Belastung durch Elektrosmog bzw. Mobilfunkstrahlung erwähnt, was aber wissenschaftlich betrachtet nicht ausreichend belegt werden kann», ergänzt Marion Wenke.

ADHS kommt selten allein

ADHS-Betroffene leiden oft an Folgeerscheinungen

Meist tritt das ADHS nicht allein auf. Häufig leiden die Betroffenen mehr an den Folgeerscheinungen des unbehandelten Aufmerksamkeitsdefizits im Erwachsenenalter mit drohendem oder bereits eingetretenem Arbeitsplatzverlust, Schulden, Beziehungskrisen, Führerausweisentzug oder Problemen beim Lehrabschluss. Hinzu kommen laut der Psychiaterin ein ausgeprägter subjektiver Leidensdruck sowie eine Beeinträchtigung der Funktionalität im Alltag, Sozialleben, Schule, Ausbildung und Beruf. Regelmässiger Substanzkonsum sei bei ADHS-Betroffenen nicht selten anzutreffen, wobei dies manchmal auch im Sinne eines Versuchs zur Selbstmedikation geschieht. Auch PC- und Spielsucht könne vorkommen.

Ritalin und regelmässiger Sport

Die ADHS-Diagnose erfolgt über klinische und testpsychologische Abklärungen durch einen Psychiater oder Fachpsychologen. Die ADHS-Behandlung richtet sich zum einen nach dem Schweregrad des ADHS sowie dem Ausmass der funktionellen Beeinträchtigungen und zum anderen nach den Bedürfnissen der Betroffenen. In der Behandlung haben sich – so Marion Wenke – primär Psycho-Stimulanzien wie Ritalin bewährt, was wissenschaftlich hinreichend belegt sei. «Dadurch werden die Ungleichgewichte der Nervenbotenstoffe im Gehirn ausgeglichen. Dies verbessert den Informationsfluss zwischen den Hirnarealen und fördert somit das vernetzte Denken», erläutert Marion Wenke. Zusätzlich zu den Stimulanzien können gezielte Therapien zur Verbesserung der Organisation und Handlungsplanung sinnvoll sein. Wie Studien kürzlich ergeben haben, mindert auch regelmässiger Sport die ADHS-Symptome. Ferner seien feste Strukturen in der Beziehung, im Alltag und am Arbeitsplatz hilfreich. Zu ADHS-Behandlungen mit Methoden aus der Komplementärmedizin gibt es laut Marion Wenke derzeit noch keine gesicherte Studienlage.

Bilder: pixabay.com

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