Unsere Haut ist unser grösstes Sinnesorgan. Wo auch immer wir berührt werden, wir spüren es sofort. Berührungen sind für einen guten Start ins Leben fürs Neugeborene fundamental. Sie helfen – lange vor der Sprache – den Babys in der Welt anzukommen.
«Berührungen sind auch im Erwachsenenleben zentral», sagt Tastsinn-Forscher Martin Grunwald. Er hat in Leipzig das europaweite einzige Haptiklabor gegründet. Er sagt:
Jeder Mensch braucht eine bestimmte Dosis an Körperberührung. Wenn er diese nicht bekommt, kann das dazu führen, dass er seelisch erkrankt oder auch körperlich Symptome zeigt.
Eine Massage aktiviert die Selbstheilungskräfte, bringt Entspannung, weniger Stress, ein stärkeres Immunsystem. Berührungen können Ängste reduzieren, depressive Symptome lindern, und sogar schmerzstillend wirken. Berührungen – entweder von uns selbst oder von anderen: Sie helfen uns im Gleichgewicht zu bleiben. Unsere Haut ist also nicht nur ein überlebenswichtiger Sensor, sondern auch ein Erste-Hilfe-Koffer in emotionaler Not. Drei Formen von Berührungen, kurz vorgestellt:
Sich in gute Hände begeben – Handlauflegen
Wenn uns selbst oder anderen etwas wehtut, legen wir spontan die Hand auf die schmerzende Stelle, weil es uns guttut. Handauflegen ist aber mehr als eine nette Geste. Seit Jahrtausenden ist Handauflegen auch ein religiöses Ritual. Spirituell verstanden und mit heilender Wirkung.
Die Theologin Anemone Eglin widmet sich seit ihrer Pensionierung intensiv dem Handauflegen. Sie sagt: «Vertrauen auf eine gute Kraft, das ist die geistige Voraussetzung fürs Handauflegen. Handauflegen wirke immer, sagt Anemone Eglin, wie es wirke, ob körperlich, seelisch oder spirituell, dass wisse sie nicht und das könne sie auch nicht beeinflussen. Aber immer soll der Mensch, der zu ihr komme, sich aufgehoben fühlen. Die sanften Berührungen, die ohne Druck und Massage auskommen, bringen oft Linderung bei chronischem Leid.
Berührende Körperreise – Psychoaktive Massage
«Unser Bedürfnis nach Berührung ist gross und sie ist berechtigt», sagt Bruno Müller-Oerlinghausen. Der Medizinier hat mit der Körpertherapeutin Mariell Kiebgis die sogenannte psychoaktive Massagetechnik entwickelt. Diese verbindet klassische Massage mit achtsamen Berührungen.
«Die Haut ist das Organ, an dem unser Selbstbewusstsein, unsere Identität hängt», sagt Bruno Müller-Oerlinghausen. «Durch die Berührung werden unter gewissen Umständen Erinnerungen an frühere Berührungen geweckt.» Dies aufgrund der Annahme, dass der Körper nicht vergisst und jede Form der Berührung speichert. Das Ziel der psychoaktiven Massage ist es ein wohliges und warmes Körpergefühl zu erlangen, in dem auch alle Formen von seelischen Schmerzen gelindert werden.
Leid einfach wegklopfen – Tapping
Im Labor von Martin Grunwald konnte nachgewiesen werden; in Stresssituationen erfüllen automatische Selbstberührungen bestimmte Funktionen: Sie stabilisieren unser Kurzzeitgedächtnis und beruhigen unangenehme Emotionen. Gerade Selbstberührungen im Gesicht scheinen ganz tief in uns verankert zu sein. Embryos tun dies bereits im Mutterleib.
Beim Tapping (Englisch für «sanft klopfen») werden bestimmte Körperstellen – meist Akupunkturpunkte – durch selbständiges Klopfen stimuliert: Die Therapeutin, der Therapeut macht es vor. Die Patientin der Patient macht es nach. Damit sollen sich Ängste, Scham, Wut, und auch Depressionen behandeln lassen. Das Auslöse-Ereignis – beispielsweise Flugangst oder eine Prüfung – soll durch das Klopfen von der Reaktion der Psyche entkoppelt werden. Durch das akustische und energische «Störfeuer» würden jene Bereiche des Gehirns und Nervensystems aufgelockert, in denen das Problem verankert war. So könne das Gehirn neue Muster aufbauen.
Weiterführende Literatur und Informationen:
Anemone Eglin : http://anemone-eglin.ch
«Berührung. Warum wir sie brauchen und wie sie uns heilt», von Bruno Müller-Oerlinghausen und Gabrielle Mariell Kiebgis.
«Homo hapticus: Warum wir ohne Tastsinn nicht leben können», von Martin Grunwald.
«Tapping: Leben ohne Stress» von Nick Ordner.
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