Zwischen Hightechmedizin und Komplementärmedizin
Was haben Gold, Lavendel, Rosenöl, Mistel und ein Klangbett in einem Spital zu suchen? Im Ospidal Scuol stehen diese Ingredienzien in Reichweite von chemisch aufbereiteten Medikamenten. Nicht zufällig.
Draussen ist Engadiner Kaiserwetter. Drinnen im Gesundheitszentrum im Spital Scuol duftet es nach Holz und Kräutern. Dort sitzen Gian Flury, Joachim Koppenberg und Gerd Löbbert einträchtig am Tisch und diskutieren über Senfwickel, Gold- Lavendel-Behandlungen, Schröpfen, Bewegungstherapie. Aber ebenso über die Zusammensetzung von Chemotherapien für Krebspatienten und Hightechmedikamente für die eingelieferte Patientin mit der Herzmuskelerkrankung. Alle drei Männer sind Schulmediziner mit viel Verständnis für ganzheitliche Medizin. Löbbert ist ausserdem Komplementärmediziner mit Schwergewicht auf anthroposophischen Behandlungen am Ospidal Scuol. An dieser kleinen Regionalklinik mit angegliedertem Gesundheitszentrum gehen die Schul- und die Komplementärmedizin seit viereinhalb Jahren Hand in Hand – weil mit der Komplementärmedizin beachtliche Erfolge erzielt werden.
Löbbert, der ansonsten in Arlesheim praktiziert, vertritt seit Jahren seinen Scuoler Kollegen Hannes Graf bei dessen Abwesenheiten. Beide Mediziner haben die gleiche Philosophie. Beide verfügen über grosses Wissen im Komplementärbereich mit Schwergewicht Anthroposophie. Graf war es, der am Spital Scuol diese sanfte Medizin integriert und etabliert hat. Es kommen viele Patienten genau deswegen nach Scuol. Oft aus der ganzen Schweiz. So wie auch Men Lareida, 58 (Name geändert).
Menschen im Mittelpunkt
Seit acht Jahren leidet er unter Herzbeschwerden. Sechs Jahre lang wird Lareida an einer hoch aufgerüsteten Basler Klinik behandelt. Seit gut zwei Jahren finden Routinekontrollen und Behandlungen im Gesundheitszentrum des Ospidal Scuol statt. Gian Flury, der Kardiologe, hat ihn auf die komplementärmedizinischen Zusatzbehandlungen aufmerksam gemacht.
Lareida, ein offener Geist, ist schnell überzeugt vom ganzheitlichen Behandlungskonzept. «Neben den chemiebasierten Medikamenten, Elektroschocks fürs Herz und anderen Behandlungen erhalte ich u.a. spezielle anthroposophische Tropfen und Bewegungstherapien. Ich fühle mich nicht nur sehr gut dabei, diese Kombination tut mir auch gut», sagt er. Über die neuen Therapieansätze hat Men Lareida gelernt, dass sich hinter
«Dass in Scuol keine Glaubenskriege mehr zwischen Schul- und Komplementärmedizin ausgefochten werden, nützt in erster Linie den Patienten.»
vielen Krankheiten oft ein psychischer Aspekt verbirgt. «Weil anders als in der Hightechmedizin hier der Mensch im Mittelpunkt steht, werden auch seelische Probleme gelöst und Ursachen körperlicher Erkrankungen aufgedeckt. Dieser Aspekt ist in der Behandlung ganz wichtig», findet Lareida aus eigenem Erleben. «Die Zeit, das Zuhören, die Zuwendung und die auf den Menschen ausgerichteten Therapien sind äusserst wirksam.» Dass wie in Scuol keine Glaubenskriege mehr zwischen Schul- und Komplementärmedizin ausgefochten werden, nützt in erster Linie den Patienten. «So werden bessere Resultate erzielt und Betroffene erhalten mehr Lebensqualität.»
«Zwischen Himmel und Erde»
«Es ist Zeit, Radikalitäten und Rivalitäten unter den Ärzten beizulegen», sind sich die Ärzte am Spital Scuol einig. «Seit wir uns verstärkt mit komplementärmedizinischen Therapien und Anwendungen befassen, haben wir erfahren, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als man medizinisch erklären könnte», sagen Gian Flury, Chefarzt der Inneren Medizin, und Joachim Koppenberg, Chefarzt Anästhesiologie und Klinikdirektor. Deshalb wird mit grosser Überzeugung das gesamte Spektrum des seelisch-geistigen Bereichs immer mit in die Behandlungen einbezogen. Und darum ist die Schulmedizin nicht mehr allein der Massstab aller Dinge in Scuol. «Wir erleben jeden Tag, dass das Konzept richtig ist und gerade auch die Lebensqualität von schwerkranken Menschen durch ganzheitliche Behandlungen sehr verbessert wird. Mit jedem Tag nimmt so auch unser Erfahrungsschatz zu, was wiederum unseren Patienten zugutekommt.»
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