Von Fabrice Müller
Immer mehr Kinder und Jugendliche leiden unter Depressionen. Fachleute gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Wie geht die integrative Medizin mit solchen Fällen um?
Laut der «Swiss Corona Stress»-Studie leiden 29 Prozent der Jugendlichen und Jungerwachsenen im Alter von 14 bis 24 Jahren unter Depressionen. Durch die Corona-Krise sind die Zahlen gestiegen. Vor allem die zweite Welle hat die Psyche vieler Menschen laut der Studie stark geschädigt. Rund sechs Prozent mehr Menschen haben während des zweiten Corona-Jahres an Depressionen gelitten. Beim Beratungstelefon von Pro Juventute hat der Betreuungsaufwand seit der Corona-Krise um 40 Prozent zugenommen, wie Anja Meier, Verantwortliche Politik & Medien der Stiftung Pro Juventute, informiert.
Die Kinder und Jugendlichen befinden sich in einer verletzlichen Lebensphase.
«Ein Grossteil der Beratungen dreht sich um Kinder und Jugendliche, die unter Depressionen, Ängsten und Suizidgedanken leiden. Insgesamt sind unsere Beratungsgespräche länger und komplexer geworden.» Weil derzeit viele Jugendpsychologinnen und -psychologen ausgebucht sind, wird das Beratungstelefon von Pro Juventute umso häufiger als Alternative angerufen. Neben der Corona-Krise, die viele junge Menschen stark beschäftigte, sorgen der Krieg in der Ukraine, der Klimawandel wie auch persönliche Themen rund um die Pubertät für Verunsicherungen. «Die Kinder und Jugendlichen befinden sich in einer verletzlichen Lebensphase. Sie verfügen noch kaum über gefestigte Strategien im Umgang mit Krisen und Unsicherheiten», erklärt Anja Meier.
Unter dem Deckmantel anderer Symptome
Obwohl die Zahlen eine deutliche Sprache sprechen, werde das Phänomen von Depressionen bei Kindern und Jugendlichen von der Medizin immer noch unterschätzt, bedauert Dr. med. Simon Feldhaus, Chefarzt Paramed Gruppe im Ambulatorium für Komplementärmedizin in Baar ZG. Er spricht von einer grossen Dunkelziffer.
Depressionen zeigen sich bei jungen Menschen unter dem Deckmantel anderer Symptome wie chronischen Bauchschmerzen, Kopfweh, Schwindel oder Kreislaufstörungen.
Der Facharzt für Allgemeinmedizin behandelt regelmässig Kinder und Jugendliche mit Depressionen. «Häufig zeigen sich Depressionen bei jungen Menschen unter dem Deckmantel anderer Symptome wie chronischen Bauchschmerzen, Kopfweh, Schwindel oder Kreislaufstörungen.» Besonders Bauchprobleme und Übelkeit würden oft als Reizdarmsymptome missverstanden. Doch: «Wenn keine Ursachen dafür zu finden sind, lässt dies Rückschlüsse auf eine mögliche Depression zu», sagt Simon Feldhaus.
Hilfsangebote für Jugendliche im Web:
- www.147.ch – Unterstützung speziell für Jugendliche
- www.143.ch
- www.projuventute.ch
- www.promentesana.ch
- www.reden-kann-retten.ch
- www.vask.ch
Trauma, Leistungsdruck
Gründe für eine Depression bei Kindern und Jugendlichen finden sich einerseits bei einer Veränderung der Stoffwechselvorgänge im Gehirn; dort kommt es zu einem Mangel an wichtigen Botenstoffen. Andererseits führen externe Ereignisse wie ein Todesfall zu einer Traumatisierung – meist verbunden mit Stress in der Schule oder Familie. «Der Alltagsstress und der hohe Leistungsdruck in Schule und Ausbildung sind für viele Jugendlichen ein grosses Problem», stellt Simon Feldhaus fest. Immer wieder komme es auch zu Kombinationen von Burn-out-Symptomen und Depressionen.
Darm-Hirn-Achse
Bei der Behandlung der betroffenen Kinder und Jugendlichen strebt die integrative Medizin die Bekämpfung der Ursachen einer Depression an. Im Falle einer endogenen Depression etwa spricht Simon Feldhaus von der Darm-Hirn-Achse und setzt dabei auf die Verbesserung des Darmklimas mithilfe von Probiotika, kombiniert mit Hydroxy-Tryptophan und anderen Aminosäuren als stimmungsverbesserndes Nahrungsergänzungsmittel. «Der Darm steht in enger Verbindung mit den Hirnzellen. Deshalb arbeiten wir bewusst mit Probiotika als Basis. Gleichzeitig helfen wir dem Gehirn mit Mikronährstoffen beim Aufbau des Neurotransmitters Serotonin», erklärt Simon Feldhaus.
Probiotika, kombiniert mit Aminosäuren, sind stimmungsverbessernde Nahrungsergänzungsmittel.
Ergänzt werde diese Behandlung, abgestimmt auf die Patientin bzw. den Patienten, mit komplementärmedizinischen Therapien wie Homöopathie, Traditionelle Chinesische Medizin, Körpertherapien usw. «Jeder Mensch reagiert unterschiedlich auf Therapien. Wurde die Depression beispielsweise durch ein Trauma ausgelöst, haben wir mit der Homöopathie gute Erfahrungen gemacht, ebenso bei stressbedingten Ursachen», berichtet der Schul- und Komplementärmediziner.
Angehörige können zusätzlich helfen, indem sie …
- möglichst früh professionelle Hilfe suchen (desto höher sind die Heilungschancen)
- die erkrankte Person darin unterstützen, an einer Therapie dranzubleiben.
- für die Betroffenen da sind und ihnen zuhören
- versuchen zu verstehen, wie sich eine Depression anfühlt
- die Krankheit ernst nehmen, ohne sie herunterzuspielen, aber auch nicht zu dramatisieren
- bereit sind, die Erkrankung gemeinsam auszuhalten und durchzustehen
- geduldig bleiben und die Betroffenen nicht unter Druck setzen.
Veränderung der Lebensführung
Mit dem Ziel einer nachhaltigen Therapiewirkung berücksichtige die integrative Medizin stets die gesamte Lebenssituation eines Menschen, sprich, auch die Ernährung, Schlafgewohnheiten, Bewegung usw. «Zusammengefasst geht es um die Lebensführung an sich. Wenn es nicht gelingt, die Belastungssituation zu verbessern, ist es schwierig, eine Wiederbelebung der Depression zu verhindern», gibt Simon Feldhaus zu bedenken. Sind bei Depressionen Drogen im Spiel, gelte es, die betroffene Person aus ihrem bisherigen Umfeld bzw. Freundeskreis herauszuholen, um die Rückfallgefahr zu reduzieren.
Weitere Informationen zum Thema psychische Belastung bei Jugendlichen finden Sie im Millefolia-Artikel «Psychosoziale Beratung für Kinder und Jugendliche ist gefragt».
Bilder: Fernando Cferdophotography / Nathan Dumlao – Unsplash, 2 x ZvG – Pexels Photo;
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