Von Manuela Fey
Der „Lehrermord von St. Gallen“ erschütterte 1999 die Öffentlichkeit. Janine Spirig und ihre Kinder erschütterte diese grausame Tat an ihrem Ehemann und ihrem Vater in ihren tiefsten Grundfesten. Wie sie aus diesem Trümmerhaufen ihren Weg schaffte, beschreibt die Ostschweizerin fünfzehn Jahre später eindrucksvoll in „Trauma und ein neuer Atem“.
„Sich jeden Atemzug neu für die Liebe zu entscheiden, erfordert bewusste Arbeit, die erst ungewohnt, dann jedoch zutiefst heilsam ist“, schreibt Janine Spirig ihre Erfahrung nieder. Nach dem Mord an ihrem Ehemann war restlos alles zusammengebrochen. Doch wenn sie es wagte, genau hinzusehen, hinzuhören und hinzufühlen, nahm sie mitten im Zusammenbruch etwas sehr Zartes und Klares wahr, das stärker als alles Tragische war.
Janine Spirig entschied, sich auf diese unzerstörbare Mitte hin auszurichten, sich selbst nicht zerstören zu lassen und sich einem grösseren Wissen anzuvertrauen, das nicht ihres war. Denn ihre Mädchen im Alter von fünf und drei Jahren sowie das ungeborene Kind brauchten eine liebende Mama, und keine hassende.
Inneres Lebenlernen
„Das Schicksal war mein unerbittlicher Lehrmeister, der mich lehrte, dass mein Inneres die Ebene war, auf der sich mein Leben gestaltete“, hält die Therapeutin mit eigener Praxis fest. Hatte sie keine Kraft mehr, konnte sie sich nur noch in sich hineinfallen lassen. Sie landete jedes Mal in einer tragenden Liebe und fand ein zartes Licht, das ihr beständig Schritt für Schritt den Weg leuchtete: „Dieser Weg war nicht im Äusseren zu suchen. Er fand mich in meiner Mitte.“
Das Schicksal war mein unerbittlicher Lehrmeister, der mich lehrte, dass mein Inneres die Ebene war, auf der sich mein Leben gestaltete.
Sirenen eines Krankenautos oder anonyme Anrufe nach dem Mord liessen die Traumaabwärtsspirale einsetzen und Janine Spirig ins Bodenlose fallen. Ihr Gefühl für die Realität verschwand augenblicklich; sie wurde in einen gänzlich lähmenden, zerstörenden Zustand versetzt, der sie zu seinem erstarrten Herzen führte. Sie tappte Schritt für Schritt weiter: „Es forderte alles von mir ab.“ Oft musste sie erfahren, wie wenig die Gesellschaft weiss über die Bedürfnisse eines Menschen in Not und über traumatisierte Menschen.
Im Körper kommen alle Ebenen zusammen
Ihre theoretischen und praktischen Erkenntnisse fasst die Körpertherapeutin und Logotherapeutin nach Viktor E. Frankl zusammen: „Der Körper hat in seinen Zellen alles gespeichert, sowohl alles Leiden als auch den einzigartigen Weg aus dem Leiden hinaus. Er wartet nur darauf, in seiner Weisheit gehört und verstanden zu werden. Er weiss, was wir mit unserem Verstand nicht wissen. Er weiss um den neuen Atem.“
Heilung geschieht immer dort, wo Liebe stärker ist als das kleine Ich. In der Mitte unseres Herzens kann das ganze Universum zusammenkommen.
Schafft es der Traumatisierte, dem Druck standzuhalten, sich eine geistig-spirituelle Dimension zu eröffnen und sein Bewusstsein zu erweitern, wird durch einen Transformationsprozess durchlittenes Leid zu Perlen der Liebe und Freude. Janine Spirig weiss: „Heilung geschieht immer dort, wo Liebe stärker ist als das kleine Ich. In der Mitte unseres Herzens kann das ganze Universum zusammenkommen.“
Buch-Tipp:
„Trauma und ein neuer Atem“ von Janine Spirig
In ihrem Buch schildert Janine Spirig, wie sie nach dem „Lehrermord von St. Gallen“, durch den sie ihren Ehemann verlor, den Weg in ihr neues Leben fand. Persönliche Erfahrungen ergänzt die Körper- und Logotherapeutin theoretisch und ordnet sie ein. Sie wagt überdies, die Frage zu äussern, „ob unsere gesamte Existenz in ein grösseres Ganzes eingebettet ist, das uns in aller Zerbrochenheit jedoch stets in seinem Herzen geborgen hält.“
Bilder: Pixabay, spuren.ch
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