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Forschung zu Medizinalpflanzen ist von öffentlichem Interesse

von Redaktion Millefolia
Forschung

von Tanya Karrer

Dr. Evelyn Wolfram untersucht als Biotechnologin im Labor Medizinalpflanzen und Naturstoffe auf ihre Qualität und Wirkung. Im Interview erklärt sie, warum die Forschung im Bereich der Phytopharmazie im öffentlichen Interesse liegt und wie auch Naturstoffe zur Eindämmung der Corona-Pandemie beitragen können.

Frau Dr. Wolfram, eine Studie des Labors Spiez zur Wirkung eines Echinacea-Präparats gegen Coronaviren ging kürzlich durch die Medien. Beflügelt der Rummel um diese Studie nun die Forschung im Bereich der Phytopharmazie?
Evelyn Wolfram: Ich hoffe es. Schon heute erscheinen viele von anerkannten Experten geprüfte – sogenannte Peer-reviewed – Studien zu Pflanzenextrakten in renommierten, wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Doch öffentliche Forschungsgelder oder Sonderforschungsprogramme für die Phytopharmazie gibt es in der Schweiz kaum.

Dabei sind bestimmte Therapien der Komplementärmedizin, darunter auch die Phytopharmazie, seit 2009 verfassungsrechtlich der herkömmlichen Medizin gleichgestellt.
Genau. Ihre Erforschung muss deshalb genauso im öffentlichen Interesse liegen wie diejenige der neuesten, auf gentechnikbasierten Therapien. Die Menschen wollen bei pflanzlichen Heilmitteln ebenso wie bei allen Medikamenten wissen, dass diese wirken. Das heisst, es muss Evidenz hergestellt werden.

Die Menschen wollen bei pflanzlichen Heilmitteln ebenso wie bei allen Medikamenten wissen, dass diese wirken.

Welche Chancen vergibt man sich mit der Nicht-Erforschung von Pflanzen- und Naturstoffen?
Nebenwirkungsarme Alternativen zu haben, zum Beispiel wie bei Johanniskraut zur Behandlung von leichter Depression. Oder auch die Möglichkeit, mit Multikomponenten einen Virus mit verschiedenen Symptomen und Ursachen gleichzeitig anzugreifen oder, wie im Fall von Echinacea, Viren direkt attackieren und das Immunsystem stärken zu können.

Hat die Industrie kein Interesse an der Erforschung dieser Stoffe?
Naturstoffe gehören allen. Auch wenn sie bis auf Moleküle aufgeschlüsselt werden, so bleiben sie Naturstoffe, die allen zugänglich sind. Die Industrie kann deshalb keine Patente anmelden wie bei synthetisch hergestellten Stoffen und hat deshalb keinen wirtschaftlichen Anreiz, Studien durchzuführen, die leicht von Konkurrenten nachgeahmt werden können. Hier muss die öffentliche Hand einspringen.

Wirksame Naturstoffe sind von öffentlichem Forschungsinteresse.

Bei der In-vitro-Studie zu Echinacea beteiligte sich nun eine Institution des Bundes. Was sagen sie zum Hype um den Sonnenhut?
Die Studie ist bereits seit einigen Monaten online, sie war mir bekannt, bevor sie in den Fokus der Medien gelangte. Ich riet meinen Bekannten tatsächlich zur Einnahme von Echinacea, da ich um die erwiesene Wirkung auf das Immunsystem weiss. Kombiniert mit einer möglichen antiviralen Wirkung – wenn auch erst im Reagenzglas beobachtet – scheint mir das angesichts fehlender Behandlungsmöglichkeiten ein sicheres Medikament. Pflanzenwirkstoffe unterliegen genauso wie herkömmliche Medikamente einem standardisierten Herstellungsverfahren, sie durchlaufen klinische Studien und werden von Swissmedic geprüft und zugelassen. Dies gilt auch für das diskutierte Echinacea-Präparat.

Dann wird die Welt bald einen Wirkstoff gegen den Virus haben?
Viele fragen sich, wieso ein solcher Wirkstoff nicht in kürzester Zeit bereitsteht. Doch es benötigt zuerst Daten aus dem Labor, damit überhaupt klinische Forschung angestossen werden kann. Solche ersten Daten aus In-vitro-Tests liefert die genannte Arbeit zu Echinacea. Doch nun müssen klinische Studien an Corona-Patienten durchgeführt werden, um die Wirksamkeit belegen zu können. Diese Untersuchungen wiederum müssen von der Ethikkommission geprüft und gegebenenfalls freigegeben werden.

Was ist Phytopharmazie?

  • Die Phytopharmazie befasst sich mit der Erforschung und Herstellung von Arzneimitteln auf pflanzlicher Basis.
  • Die Phytopharmazie untersucht und verwendet Pflanzenextrakte in ihrer Gesamtheit, während die herkömmliche Pharmazie Stoffe bis auf Molekularebene aufschlüsselt.
  • Die Phytopharmazie geht davon aus, dass Extrakte in ihrer natürlichen Gesamtheit wirken.
  • Phytoarzneimittel unterliegen vom Pflanzenanbau bis zur Tablette hohen Qualitätsstandards, durchlaufen klinische Studien und müssen vom Schweizerischen Heilmittelinstitut swissmedic zugelassen werden.
  • Vereinfachungen gibt es für Zubereitungen, die schon lange angewendet werden („well established use“). Sie gelten auch ohne klinische Untersuchungen als sicher und wirksam. Auch ihre Erforschung birgt Potential.

Pharmazeutische Forschung benötigt also viel Zeit und Geld?
Ja, ich kann nicht einfach ein paar Freiwilligen ein Mittel verabreichen und sie dann auf Corona testen. Viele Faktoren müssen berücksichtigt werden, darunter Vorerkrankungen, Allergien oder Interaktionen durch die Nahrung.

Zur Eindämmung der Corona-Pandemie werden inzwischen auch andere Naturstoffe auf eine mögliche Wirkung hin untersucht. Wo gibt es erste vielversprechende Hinweise?
Leider können Resultate erst publiziert werden, wenn die Untersuchungen abgeschlossen sind. Professor Stange und Dr. Dr. Uehleke sowie die Professoren Hensel und Kraft formulierten kürzlich in der Zeitschrift für Phytotherapie wichtige Ansatzpunkte zur Beforschung von Phytotherapeutika. Neben Echinacea nennen sie Grüntee, Kapland-Pelargonie, Zistrose und ätherische Öle aus verschiedenen Quellen. Hoffen wir, dass auch für diese Forschung öffentliche Gelder gesprochen werden, so wie dies für die Impfstoff- und monomolekulare Wirkstoffforschung derzeit im grossen Stil getan wird.

Dr. Evelyne WolframDr. Evelyn Wolfram ist Dozentin für Phytopharmazie und Naturstoffchemie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, ZHAW. Neben ihrer Forschungstätigkeit ist sie als Biotechnologin in der Industrie tätig.

Weiterführende Literatur:
Hensel, Andreas, Verena Spiegler, and Karin Kraft: Pflanzliche Extrakte gegen virale Infektionen des oberen Rachenraumes: Gibt es rationalisierbare protektive Möglichkeiten? Zeitschrift für Phytotherapie. 2020, 41(02): 52-54.

Fotos: zVg, Montage aus Depositphotos


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