von Isabelle Zimmermann / Walter Stüdeli
Natürliche Arzneimittel sind sehr beliebt und kennen in der Schweiz eine lange Tradition. In den letzten zehn Jahren sind viele pflanzliche Heilmittel vom Markt verschwunden.
Dr. Herbert Schwabl setzt sich für die Schweizer Hersteller und für faire Bedingungen ein. Immer strengere Auflagen gefährden die einheimische Produktion und die Versorgung mit Naturheilmitteln.
Interview mit Dr. Herbert Schwabl
Herr Schwabl, das Parlament hat vor wenigen Jahren vereinfachte Zulassungskriterien für Komplementär- und Phytoarzneimittel verabschiedet. Die Zahl der zugelassenen pflanzlichen Arzneimittel ist dennoch innert zehn Jahren um 40 Prozent zurückgegangen! Was sind die Gründe?
Es gibt zwar im revidierten Heilmittelgesetz die vereinfachte Zulassung für natürliche Arzneimittel, für die wir uns in der Ratsdebatte eingesetzt haben. Aber im Vollzug wurden die Regulierungen im vergangenen Jahrzehnt immer strenger und aufwendiger. Die internationalen Vorschriften für die Produktion von chemischen Arzneimitteln wurden verschärft, weil immer mehr Produkte bspw. in China und Indien hergestellt werden, wo bekanntermassen die Standards nicht sehr hoch sind. Diese Vorschriften werden nun auch in der Schweiz angewendet, obwohl die Schweiz ein Standort mit hoher Qualität ist.
Im Vollzug wurden die Regulierungen im vergangenen Jahrzehnt immer strenger und aufwendiger. Dies führt teilweise zu absurden Vorschriften.
So wurden für die Produktion von natürlichen Arzneimitteln in der Schweiz immer höhere Standards gesetzt. Dies führt teilweise zu absurden Vorschriften. Es müssen moderne und teure Lüftungsanlagen angeschafft werden, obwohl die Verarbeitung von pflanzlichen Rohstoffen keine Gefahr für die Umwelt darstellt. Durch solche Auflagen wurde etwa eine mehr als 100-jährige Traditionsfirma zur Aufgabe gezwungen.
Hinzu kommt der steigende Preisdruck?
Schweizer Produzenten stehen natürlich im Wettbewerb. Hinzu kommt, dass das Bundesamt für Gesundheit (BAG) wegen des Spardrucks wiederholt die Preise der Medikamente der Spezialitätenliste gesenkt hat. Für die preisgünstigen Komplementär- und Phytoarzneimittel können bei einer immer tieferen Vergütung die Herstellungskosten nicht weiter gesenkt werden. Dies zwingt Firmen dazu, einzelne Produkte aus der Spezialitätenliste rauszunehmen. Diese werden dann nicht mehr von der Grundversicherung vergütet. Andere Produkte verschwinden ganz vom Markt.
Was versteht man unter Therapiewahlfreiheit?
Die Freiheit der Menschen, zwischen verschiedenen Therapien zu wählen und sich für eine bestimmte Behandlungsmethode oder ein bestimmtes Heilmittel entscheiden zu können, nennt man Therapiewahlfreiheit. Voraussetzung für die Wahlfreiheit ist die Vielfalt an Behandlungsmethoden und natürlichen Arzneimitteln. Freiheit und Vielfalt sind grundlegende Werte, für welche der Dakomed einsteht: Freiheit und Vielfalt im Denken, im Handeln, in der Lebensgestaltung und im Umgang mit Gesundheit und Krankheit. Sie sind zentral zur Stärkung der Widerstandskraft (Resilienz).
Was sind die Folgen für die Ärzt*innen und Therapeut*innen und für die Patient*innen?
Es ist klar, dass ein Rückgang von 40 Prozent bei Phytoarzneimitteln die Therapiemöglichkeiten der Ärzt*innen und Therapeut*innen einschränkt. Ein Arzt muss unter Umständen ein chemisches Präparat verschreiben, obwohl es nicht die bestmögliche Behandlung ist. Oder die Patient*innen müssen ein natürliches Arzneimittel selbst bezahlen, wenn sie es einnehmen wollen.
Es ist klar, dass ein Rückgang von 40 Prozent bei Phytoarzneimitteln die Therapiemöglichkeiten der Ärztinnen und Therapeuten einschränkt.
Letztendlich sind die Patient*innen die Leidtragenden. Sie verlieren die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Therapien diejenige zu wählen, die sie möchten und die für ihre Behandlung am geeignetsten ist.
Was bedeutet der Rückgang für die Selbstmedikation in Apotheken und Drogerien?
Ein Schrumpfen des Sortiments an natürlichen Heilmitteln heisst auch, dass sich das vielseitige Angebot reduziert und immer homogener wird. Diese Entwicklung schwächt den Fachhandel der Drogerien und Apotheken. Eine zusätzliche Gefahr ist, dass immer mehr Naturheilmittel und Nahrungsergänzungsmittel online im Ausland bestellt werden. Bei solchen Produkten sind Herkunft und Qualität oft zweifelhaft. Umso wichtiger ist es, dass wir in der Schweiz eine sichere und qualitativ hochstehende Versorgung mit natürlichen Heilmitteln gewährleisten können. Nur so können wir auch die Vielfalt des Angebots erhalten und die Freiheit, zwischen verschiedenen Therapien zu wählen.
Gibt es auch Beispiele von innovativen natürlichen Heilmitteln, die im Ausland eine Zulassung haben, aber in der Schweiz nicht erhältlich sind?
Ja, ich weiss bspw. von einem natürlichen Hustensaft für Kinder, der in Deutschland zugelassen ist und hier in der Schweiz nicht. Obwohl das Präparat für die Versorgung bei uns wichtig wäre. Die regulatorischen Hürden sind inzwischen derart hoch und die vergüteten Preise in der Spezialitätenliste so tief, dass sich der Aufwand und die für einen Zulassungsantrag verbundenen Kosten nicht lohnen.
Es braucht einen verhältnismässigen und risikobasierten Vollzug der Heilmittelgesetzgebung und der internationalen Auflagen.
Welche Lösungsmöglichkeiten sehen Sie?
Es braucht einen verhältnismässigen und risikobasierten Vollzug der Heilmittelgesetzgebung und der internationalen Auflagen. Arzneimittel aus chemischen Wirkstoffen stellen für Mensch und Umwelt eine höhere Gefahr dar als Medikamente aus natürlichen Rohstoffen. Es sind andere Risiken und die muss die Heilmittelbehörde Swissmedic bei Zulassungsverfahren und bei der Inspektion von Betrieben endlich berücksichtigen. Auch ist die Qualität der Schweizer Produktion im internationalen Vergleich hoch. All dies sollte bei den Prüfungen berücksichtigt werden.
Pflanzliche Arzneimittel – massiver Rückgang der Zulassungen
Trotz Bundesverfassungsartikel 118a für Komplementärmedizin und trotz vereinfachter Zulassung im Heilmittelgesetz gibt es immer weniger zugelassene Komplementär- und Phytoarzneimittel auf dem Schweizer Markt. Bei den pflanzlichen Arzneimitteln ist die Anzahl der Zulassungen seit dem Jahr 2009 von 790 auf 460 Produkte gesunken, ein Rückgang von über 40 Prozent. Auch bei den zugelassenen Homöopathika und Anthroposophika ist die Anzahl der Zulassungen rückläufig. (Quelle: Swissmedic, Geschäftsberichte 2009–2020)
Woran scheitert es? Wieso sind das BAG und Swissmedic nicht gewillt, den Volkswillen umzusetzen?
Das BAG fokussiert auf Kostendämpfungspakete und Sparmassnahmen und Swissmedic auf die Einhaltung von internationalen Standards. Die Behörden scheinen die Gesamtsicht verloren und den Verfassungsauftrag vergessen zu haben. Es gibt immer mehr Bürokratie und Formalismus, was aber nicht zu einer besseren Gesundheitsversorgung beiträgt.
Die Behörden scheinen die Gesamtsicht verloren und den Verfassungsauftrag vergessen zu haben.
Schweizer Firmen, die natürliche Arzneimittel herstellen oder vertreiben, werden dadurch aber zunehmend in ihrer Existenz bedroht. Diesen Zusammenhang verkennen das BAG und Swissmedic. Die Aufgabe ist nicht, zu sparen, sondern eine effiziente Versorgung sicherzustellen. Das geht nicht, wenn man die Komplementärmedizin aushungert. Bei Medikamenten, die günstiger als 20 Franken sind, könnte das BAG etwa auf Preissenkungen verzichten oder einfachere Preismodelle ermöglichen.
Muss das Parlament aktiv werden? Interessiert sich das Bundesparlament in der aktuellen Besetzung für die natürliche Medizin?
Das politische Interesse für natürliche Heilmethoden ist derzeit gering. Die aktuelle Pandemie verhindert leider einen differenzierten Diskurs. Freunde der Komplementärmedizin und der Naturheilmethoden werden vorschnell als Corona-Leugner oder Impfskeptiker abgestempelt. Die zunehmende Polarisierung bei Corona-Themen bereitet uns Sorge. In diesem politischen Klima haben unsere Anliegen einen schweren Stand. Aber wir lassen nicht locker.
Es gibt weltweit unzählige Heilpflanzen, deren Potenzial medizinisch nicht genutzt wird. Sind Innovationen überhaupt realistisch, wenn sich die geschilderten Verhältnisse in der Schweiz nicht ändern?
Bei den bestehenden Regularien bin ich skeptisch, Innovationen im Bereich von Heilpflanzen sind so nicht möglich. Wir sehen es jedes Jahr aufs Neue: Es gibt kaum neue Zulassungen von Komplementär- und Phytoarzneimitteln. Dies zeigt auch der massive Rückgang der zugelassenen pflanzlichen Arzneimittel in den letzten zehn Jahren.
Dr. Herbert Schwabl
Der studierte Biophysiker Dr. Herbert Schwabl leitet seit 1994 ein Schweizer KMU, das pflanzliche Arzneimittel auf der Basis der Tibetischen Medizin produziert. Seit 20 Jahren ist er Präsident des Schweizerischen Verbands für komplementärmedizinische Heilmittel SVKH und setzt sich dafür ein, dass pflanzliche und komplementärmedizinische Heilmittel in der Schweiz sicher und zu fairen Bedingungen hergestellt und verkauft werden können. Der SVKH –wie auch der Dakomed – wollen den natürlichen Heilmittelschatz erhalten und das vielseitige Therapieangebot sichern.
Bilder: Ella Mettler, zvg, Pixabay
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1 Kommentar
Ja, es ist auch wirklich befremdend, wenn ich bei einem komplementär-medizinischen Arzneimittel erlebe, dass der Name innerhalb von zwei Jahren etwa, mit jeweils nur einer pflanzlichen Beigabe die weggelassen oder beigefügt erneuert werden muss, damit es durch die Kasse übernommen werden kann – und der Arzt davon wenig mitbekommt und ich von der Apotheke abhängig bin, die dies weiss und mir dasselbe Produkt mit neuem Namen gibt. Und wie viele Medikamente auf natürlicher Basis seit Jahren von Spezialärzten, die dies wichtig finden, verschrieben werden und dennoch vom Patienten selbst bezahlt werden müssen.