Die steigenden Gesundheitskosten sind eines der grossen Themen im Vorfeld der Parlamentswahlen 2023. Die Präsidentin des Dachverbands Komplementärmedizin Dakomed, Nationalrätin Edith Graf-Litscher, schildert im Interview, wie eine effiziente und bezahlbare Grundversorgung gestaltet werden kann. Im neuen Parlament wünscht sie sich möglichst viele Unterstützerinnen und Unterstützer der Komplementärmedizin – «Millefolia» hat diese unter den Kandidierenden ausgemacht.
Interview: Lukas Fuhrer
Edith Graf-Litscher, am 22. Oktober wählt die Schweizer Bevölkerung ein neues Parlament. Was erhoffen Sie sich von diesem?
Edith Graf-Litscher: Für mich ist es wichtig, dass Leute gewählt werden, die der politischen Anerkennung der Komplementärmedizin den nötigen Stellenwert geben. Die sich bewusst sind, dass das Volk ganz klar gesagt hat: Wir wollen eine integrative Medizin, wir wollen Schul- und Komplementärmedizin, und dem muss in den gesundheitspolitischen Entscheidungen Rechnung getragen werden.
Wahlempfehlungen des Dakomed für die Parlamentswahlen 2023
Der Dachverband Komplementärmedizin Dakomed hat für die eidgenössischen Parlamentswahlen am 22. Oktober 2023 eine Umfrage mit sechs Fragen zur Komplementärmedizin durchgeführt. Kandidatinnen und Kandidaten, die mindestens vier der sechs Fragen mit «ja» oder «eher ja» beantwortet haben, empfiehlt der Dakomed zur Wahl. Die Kandidatinnen und Kandidaten sind nach Kantonen und in alphabetischer Reihenfolge auf der Verbandswebsite aufgeführt.
Die sechs Fragen an die Kandidatinnen und Kandidaten können Sie hier einsehen: Wahlempfehlung 2023 – Dachverband Komplementärmedizin
An der Umfrage des Dakomed auf smartvote.ch haben 582 Kandidierende teilgenommen, 452 davon sprechen sich für die Stärkung der Komplementärmedizin aus (Stand 11.9.23).
Die steigenden Gesundheitskosten verlangen nach griffigen Massnahmen – wo sehen Sie als Gesundheitspolitikerin Sparpotenzial?
Eine solide Grundversorgung sowie eine hochstehende Qualität für alle muss im Zentrum stehen. Ohne Leistungsabbau können wir die Kosten dämpfen, wenn wir die Prävention stärken, die Profite der Pharmakonzerne reduzieren und den Kostenanstieg bei den Spezialisten senken. Das heisst, wir sollten offen sein für neue Anlaufstellen in der Grundversorgung – natürlich benötigen wir Hausärztinnen und Hausärzte, aber auch Drogerien, Apotheken, Therapeutinnen und Pflegefachkräfte als erste kompetente Anlaufstellen. Sie stärken die Koordination der Gesundheitsleistungen und haben eine wichtige Funktion bei der Triage zu den Spezialistinnen und Spezialisten.
Eine solide Grundversorgung sowie eine hochstehende Qualität für alle muss im Zentrum stehen.
In der Politik gibt es auch Stimmen, die zur Kostensenkung Leistungen aus der Grundversicherung streichen wollen, die Komplementärmedizin wurde dabei auch schon genannt. Mit Prävention und Selbstmedikation trägt sie aber doch dazu bei, dass es zu weniger Erkrankungen und teuren Behandlungen kommt – senkt sie also nicht eher die Kosten?
Doch, das ist so. Vor allem, weil komplementärmedizinische Angebote oft als Erstanlaufstellen genutzt werden, wenn man nämlich nicht gleich mit Kanonen auf Spatzen schiessen will. Die Politik neigt jedoch dazu, dort zu sparen, wo die Lobby für den Widerstand nicht so zahlungskräftig ist. Im Gesundheitswesen habe ich manchmal den Eindruck, dass auch dieser Reflex dahintersteckt, wenn einzelne Politiker die von Ärztinnen und Ärzten angewandte Komplementärmedizin als Sparmassnahme wieder aus der Grundversicherung kippen wollen. Dies würde jedoch nicht zu einer Prämienreduktion führen, weil ihr Anteil an den gesamten Gesundheitskosten überhaupt nicht ins Gewicht fällt und weil dank der Komplementärmedizin andere Behandlungen oder Kosten für Medikamente wegfallen.
Ein zentraler Aspekt der Komplementärmedizin ist auch der: Von Ärzten höre ich immer wieder, dass sie zu wenig Zeit für Gespräche haben – die sind aber wichtig, um eine genaue Diagnose stellen und die individuell richtige Behandlung für die Patientin oder den Patienten definieren zu können.
Das geht nicht allein mit Apparaten. In der Komplementärmedizin gibt es neben Ärztinnen und Ärzten mit entsprechenden Weiterbildungen die beiden eidgenössisch anerkannten Berufe Naturheilpraktikerin und Komplementärtherapeut, wo das Zuhören, die Anamnese, wichtige Bestandteile der individuellen Behandlungsmethoden sind.
Sie haben es erwähnt, auch Ärztinnen und Ärzte wenden Komplementärmedizin an, in der Anthroposophischen Medizin, der Phytotherapie, der Homöopathie und der Traditionellen Chinesischen Medizin. Ist das im Bewusstsein der Bevölkerung schon angekommen, dass Schulmedizin und Komplementärmedizin immer enger zusammenrücken?
Meine Erfahrung zeigt, dass das sehr individuell ist. Viele kennen sicherlich solche Ärztinnen und Ärzte, andere kommen vielleicht durch Therapeuten, die mit einer Ärztin zusammenarbeiten, damit in Berührung.
Das ist übrigens eine sehr sinnvolle Zusammenarbeit: Wenn jemand eine intensive Behandlung wie beispielsweise eine Chemotherapie benötigt, dann kann ergänzend Komplementärmedizin eingesetzt werden, etwa zur Reduktion von Nebenwirkungen. Das ist für mich ein anschauliches Beispiel, wie Schul- und Komplementärmedizin zusammenwirken können.
Der Dakomed schlägt den Leserinnen und Lesern von «Millefolia» Kandidatinnen und Kandidaten für den National- und Ständerat vor, die die Komplementärmedizin unterstützen (siehe Box). Sie selbst setzen sich seit 2005 im Nationalrat für die Komplementärmedizin ein – was war ihr grösster Erfolg, und was würden Sie gerne noch erreichen?
Der wichtigste Erfolg war die Gründung des Dakomed. Uns allen, die daran mitgewirkt haben, war bewusst, dass die Berücksichtigung der Komplementärmedizin im Gesundheitswesen nicht mit dem Volks-Ja von 2009 erreicht war, sondern dass wir gemeinsam für die Umsetzung des Volkswillens arbeiten und manchmal auch kämpfen müssen. Für mich ist die Arbeit mit dem Dakomed-Vorstand und mit Walter Stüdeli sehr wertvoll – seine Lobbyarbeit ist zentral, nämlich dass wir bei parlamentarischen Vorstössen gemeinsam die Politikerinnen und Politiker informieren und für uns gewinnen. Daher freut es mich auch, dass sich der Bundesrat bei aktuellen Vorstössen voll und ganz hinter die Komplementärmedizin gestellt hat.
Es freut mich, dass sich der Bundesrat bei aktuellen Vorstössen voll und ganz hinter die Komplementärmedizin gestellt hat.
Und was ich noch erreichen möchte: Meine Vision ist, dass wir den Hausärztemangel als Chance begreifen. Wir müssen zwar mehr Hausärztinnen und Hausärzte ausbilden, aber eben auch die bereits erwähnten Erstberatungsstellen stärken, damit in der Arztpraxis und im Spital genügend Ressourcen für die Patientinnen und Patienten vorhanden sind, die wirklich dorthin gehören.
Bilder: Olaf Müller ― Redaktion Millefolia / pressfoto ― Freepik.com / Jan Krukau ― Unsplash.com
Wie ist Ihre Meinung zum Thema «Komplementärmedizin in der Grundversorgung: ja oder nein»?
Liebe Leserinnen und Leser, wo stehen Sie in dieser Debatte? Soll die Komplementärmedizin weiterhin von der Grundversicherung übernommen werden? Wir freuen uns über Ihre Kommentare!
Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Jede noch so kleine Spende hilft, künftige Beiträge zu ermöglichen. Herzlichen Dank!
2 Kommentare
Die Komplementaermedizin sollte auf jeden Fall in der Grundversorgung belassen werden!
Vielen Dank für dieses klare Statement – Millefolia und der Dachverband Komplementärmedizin setzen sich für die Komplementärmedizin in der Grundversicherung ein, und wir freuen uns über jeden Zuspruch und jede Unterstützung!