Von Tanya Karrer
Prof. Dr. Carsten Gründemann erforscht Komplementärmedizin mittels naturwissenschaftlicher Methoden. Die integrative Medizin sieht er auf gutem Weg in die Zukunft, widerspiegelt sie doch ein gesellschaftliches Bedürfnis. Diesem soll nun ein Nationales Forschungsprogramm Rechnung tragen.
Herr Gründemann, seit einem Jahr sind Sie Inhaber des Lehrstuhls für Translationale Komplementärmedizin an der Universität Basel. Was bedeutet translational?
Translational bedeutet übersetzend. Einerseits geht es um die Frage: Was macht Komplementärmedizin überhaupt? Hier versuche ich zu erklären, zu übersetzen. Andererseits geht es um die Übersetzung der Grundlagenforschung, die wir betreiben, in den klinischen Alltag. Hierfür gibt es viele Möglichkeiten, zum Beispiel mit Anwendungsbeobachtungen oder klinischen Studien. Dies bedingt, dass wir den klinischen Bedarf bei Pflegenden und der Ärzteschaft abklären.
Der Lehrstuhl war umstritten. Müssen Sie um Anerkennung kämpfen?
Ich bin überzeugt davon, dass die Komplementärmedizin ein Gewinn für die universitäre Forschung ist. Ich habe deshalb nie gekämpft und werde nie kämpfen. Wie in der Gesellschaft allgemein gibt es auch in der Fakultät Menschen, die eher kritisch gegenüber der Komplementärmedizin eingestellt sind und solche, die sie gut finden.
Die Komplementärmedizin ist ein Gewinn für die universitäre Forschung.
Ist die Unterscheidung von komplementärer und konventioneller Medizin noch angebracht, wenn beides an Universitäten gelehrt und erforscht wird?
Es zählt doch hauptsächlich, welche Therapie wirkt, was die Wirkung für den Patienten ist. Ich finde deshalb, diese Unterscheidung zwischen komplementär und konventionell überflüssig. Unsere Forschung basiert auf etablierten,
immunologisch-zellbiologischen State-of-the-Art-Methoden, wie sie überall in der Wissenschaft angewendet werden. Damit untersuchen wir, ob pflanzliche Heilmittel oder integrative Therapien wirksam sind. Das sind normale Untersuchungsmethoden. Wir pendeln die Resultate nicht aus.
Wie ist Ihre Forschung finanziert?
Wir finanzieren die Forschung auf dieselbe Weise wie andere Forschende auch. Wir versuchen natürlich, an öffentliche Gelder zu kommen. Das heisst, wir beteiligen uns an Ausschreibungen, wie zum Beispiel an denjenigen des Schweizerischen Nationalfonds (SNF). Wir arbeiten aber auch an Projekten, die an der Schnittstelle von Wirtschaft und Wissenschaft stehen, um hier praxisrelevante neue Methoden und Technologien zu entwickeln.
Finanziert die öffentliche Hand Ihre Forschungsprojekte?
Ja, der SNF finanziert ein grosses Sinergia-Netzwerk-Projekt, das wir zusammen mit der Universität Zürich leiten. Darin untersuchen wir die Sicherheit von pflanzlichen Arzneimitteln zur Behandlung von nicht psychotischen Erkrankungen während der Schwangerschaft. Schwangere Frauen würden öfters gerne pflanzliche Medikamente – anstelle von synthetischen Arzneistoffen – einnehmen bei Unruhe, Schlafstörungen oder leichten Depressionen. Sie sind sich aber unklar über deren Sicherheit. Mit dem Projekt möchten wir diese Aspekte untersuchen.
Seit 1998 gab es kein Nationales Forschungsprogramm im Bereich der Komplementärmedizin mehr.
Ein Nationales Forschungsprogramm wäre längstens angebracht. Forschungsprogramme sollten schliesslich den Querschnitt der Interessen der Bevölkerung widerspiegeln. Die Komplementärmedizin liegt im Interesse eines wesentlichen Teils der Schweizer Bevölkerung, weshalb sie auch in einem nationalen Programm erforscht werden sollte.
Die Komplementärmedizin liegt im Interesse eines wesentlichen Teils der Schweizer Bevölkerung, weshalb sie auch in einem nationalen Programm erforscht werden sollte.
Gibt es Pläne für ein Nationales Forschungsprogramm (NFP)?
Sie stecken noch in den Kinderschuhen, wir sind aber dabei, ein NFP zu initiieren. Möglichst viele Schweizer Universitäten und Hochschulen sollen in einem Netzwerk zusammenkommen und sich einbringen. Der Forschungsschwerpunkt wird
noch abgestimmt. Wir planen, das Programm bis hoffentlich 2025 aufzubauen.
Woran forschen Sie noch?
Wir untersuchen therapeutische Präparate und entwickeln neue Ansätze zur Behandlung von Augenerkrankungen und bauen hierfür eine Technologieplattform auf. Zusammen mit der Medizinischen Universität Wien haben wir ein Projekt zum Acker-Stiefmütterchen und seiner Wirkung bei entzündlichen Darmerkrankungen lanciert . Zudem unternehmen wir
pharmakologische und phytochemische Untersuchungen von Passionsblumenpräparaten und prüfen sie auf ihre Sicherheit.
Ein weiteres Forschungsprojekt befasst sich mit dem Einfluss verschiedener Herstellungstechniken von pflanzlichen Arzneimitteln auf die Zellbiologie. Und dann untersuchen wir noch die Wirkung von Wärme auf das Immunsystem in einem
ganzheitlichen Ansatz.
Gibt es auch komplementärmedizinische Lehre an der Uni Basel?
Ja, es gibt Einführungsveranstaltungen zur Komplementärmedizin im Bachelorstudium der Humanmedizin, auch im Studiengang Pharmazie halte ich bald eine Vorlesung zur Komplementärpharmazie. Ausserdem sind wir in der Ausbildung und Fortbildung von Studierenden tätig und betreuen Masterarbeiten. Die Nachwuchs und Ausbildungsförderung ist mir ein wichtiges Anliegen.
Wo wird in der Schweiz zu Komplementärmedizin geforscht?
- Universität Bern, Institut für Komplementäre und Integrative Medizin
(IKIM)
Schwerpunkte: anthroposophisch erweiterte Medizin, klassische Homöopathie und Traditionelle Chinesische Medizin. - Universität Zürich, Institut für komplementäre und integrative Medizin
(IKI)
Schwerpunkte: Mind Body Medicine, Akupunktur, Patientenerfahrungen und unspezifische Wirkfaktoren auf den Behandlungserfolg. - Universität Basel, Lehrstuhl Translationale Komplementärmedizin
Schwerpunkte: Translationale Komplementärmedizin, Phytopharmazie, anthroposophische Medizin. - Universität Freiburg, Institut für Hausarztmedizin
Schwerpunkte: Integration Komplementärmedizin in Gesundheitssysteme, Notfallmedizin, chronische Schmerzen. - Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften, Fachgruppe
Naturstoffchemie und Phytopharmazie
Schwerpunkte: Phytopharmazie und Naturstoffchemie. - Centre de médecine intégrative et complémentaire des Universitätsspitals
Lausanne
Schwerpunkte: Integration Komplementärmedizin in Unispital.
Finden Sie Nachwuchs?
Mittlerweile ist es kein Problem mehr, Nachwuchs zu finden, weil die Wissenschaft und der komplementärmedizinische
Ansatz in der Gesellschaft angekommen sind. Vor zehn Jahren war das noch anders.
Sie arbeiteten in Deutschland, nun in der Schweiz. Gibt es länderspezifische Unterschiede in der Einstellung zur
Komplementärmedizin?
Grosse Unterschiede hinsichtlich Forschung habe ich bisweilen nicht feststellen können, jedoch ist mein Gefühl, dass
Schweizerinnen und Schweizer viel stärker als Deutsche mit ihren Traditionen und insbesondere mit ihrer Landschaft und der Natur verbunden sind. Das finde ich wunderbar!
Sie haben viel erreicht in Ihrem ersten Jahr auf diesem Lehrstuhl. Wie geht es weiter?
Die integrative Medizin hat grosses Entwicklungspotenzial, es gibt noch viel Luft nach oben. Hier in Basel wurde mit der Professur eine Basis geschaffen, sie ist aber noch ausbaufähig. Dafür gehe ich, wenn es fachlich passt, auf andere Forschende zu, es ergeben sich Kooperationen.
Die integrative Medizin hat grosses Entwicklungspotenzial, es gibt noch viel Luft nach oben.
Ich bin sehr zuversichtlich, dass das Thema der komplementärmedizinischen Forschung auch in den kommenden Jahren auf fruchtbaren Boden fällt.
Weshalb?
Wir befinden uns in einer Zeit, in der sich die Menschen ihrer Gesundheit bewusster werden. Sie fragen sich: Was kann ich alles tun, um gesund zu bleiben, und wenn ich krank bin, um gesund zu werden? Es findet ein Wandel statt, in welchem die Komplementärmedizin eine wichtige Rolle einnehmen darf und kann.
Hat die Corona-Pandemie einen Einfluss auf diesen Wandel?
Corona spaltet teilweise die Gesellschaft. Dies birgt jedoch auch immer die Chance, zusammen Gemeinsamkeiten zu finden.
Mir ist wichtig, im Bereich der Komplementärmedizin auf Menschen zuzugehen, das Gespräch zu suchen und zu diskutieren, wie man gemeinsam etwas angehen und vorantreiben kann.
Prof. Dr. Carsten Gründemann studierte in Tübingen und Freiburg (D) Biologie und promovierte in experimenteller Immunologie. Seine Reiseleidenschaft weckte sein Interesse für fremde Kulturen und traditionelle Heilmethoden. Am
Universitätsklinikum in Freiburg begründete er im Zentrum für Naturheilkunde den Bereich Grundlagenforschung, habilitierte in der dortigen medizinischen Fakultät und baute 2016 den Bereich der anthroposophisch-medizinischen
Forschung auf. Seit 2020 ist Carsten Gründemann Inhaber des Lehrstuhls «Translationale Komplementärmedizin» an der Universität Basel.
Bilder: Universität Basel, zvg, unsplash
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2 Kommentare
Schön zu wissen, dass nun die universitäre Komplementärmedizin als Teil der integrativen Medizin in der Schweiz nach deren Verankerung in der Bundesverfassung immer breiter aufgestellt ist – ganz gemäss dem Wunsch der Bevölkerung ! Leider hinkt dieser Entwicklung noch die Bildung eines Lehrstuhles für ganzheitliche Zahnmedizin hinterher – hier besteht weiterhin Handlungsbedarf. Weiter so !
Prima, vielen Dank.
Solche Informationen helfen zu veranschaulichen, dass Komplementärmedizin längst kein Randgebiet mehr ist und sollte fürjunge Schulmediziner*innen wegweisend sein, Patienten zu ermuntern sich mit Alternativmöglichkeiten zu befreunden.