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Neue Perspektiven bei Folgen von Covid

von Redaktion Millefolia

Von Tanya Karrer

Integrativmedizinische Behandlungsansätze zeigen sich beim Long- und Post-Covid-Syndrom als besonders erfolgversprechend. Im Interview geben Dr. med. Simon Feldhaus und Dr. med. Severin Pöchtrager Einblick in ihr vielschichtiges Therapiespektrum.

Sie bieten in der Klinik Arlesheim bzw. im Paramed-Ambulatorium in Baar Post- und Long-Covid-Sprechstunden mit integrativmedizinischem Ansatz. Weshalb?
Feldhaus: Vor anderthalb Jahren führten wir in Baar eine Covid-Sprechstunde ein, seit etwa einem halben Jahr sehe ich vermehrt Long- und Post-Covid-Fälle. Die Entwicklung ist nicht verwunderlich, man kennt diese auch von anderen Infektionen wie mit dem Epstein-Barr-Virus. Nur wurde bisher kaum darüber gesprochen. Wir möchten den Patienten sagen: «Leute, ihr könnt euch melden. Man kann etwas dagegen tun. Es ist nicht Schicksal!»
Pöchtrager: Covid-19 rückte postvirale Erschöpfungssyndrome, wie wir das auch bei anderen Infektionskrankheiten kennen, in den Fokus der Medizin. Während der ersten Corona-Welle behandelten wir stationär über 450 akute Corona-Patienten. Wir sahen, dass Corona mit dem Abklingen der akuten Infektion in vielen Fällen noch nicht zu Ende ist. Unser therapeutisches Team, bestehend aus Pflegefachpersonen, Ärzten und Therapeuten, entwickelte ein Therapiekonzept für Long und Post-Covid und ist laufend dabei, dieses mit jeder neuen Erfahrung weiterzuentwickeln.

Long- und Post-Covid ist nicht Schicksal. Es ist behandelbar.

Wie ist Long- und Post-Covid definiert?
Pöchtrager: Dauern Covid-Symptome vier bis zwölf Wochen nach dem positiven Covid-19-Test an oder kommen neue Symptome hinzu, die nicht durch andere Ursachen zu erklären sind, spricht man von Long-Covid, danach wird es zu Post-Covid. Dies besagen die Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften AWMF. Was sich bei den meisten Patienten zeigt, ist eine grosse Erschöpfung. Oft begleitet von Schlafstörungen, kognitiven Einschränkungen, Störungen der Sinneswahrnehmung und Kopfschmerzen. Oder es bestehen Beschwerden im Herz-Kreislauf- und Lungensystem wie Atemnot, Reizhusten, Herzrasen oder Herzstolpern. Andere leiden mehr an Verdauungsbeschwerden und Muskelschmerzen.
Feldhaus: Ich ordne die Symptome drei Hauptebenen zu: Geschmacks- und Geruchsverlust und -veränderungen. Müdigkeit und damit verbunden eine Leistungsminderung. Die dritte Ebene sind Symptome des vegetativen Nervensystems.

Begleitgruppe «Long-Covid»

Die Covid-19-Taskforce des Bundes wurde beauftragt, die Behandlung und Rehabilitation von Menschen mit Covid-19-Langzeitfolgen sicherzustellen, und hat dazu eine Begleitgruppe «Long-Covid» konstituiert. Dr. med. Gisela Etter, Dakomed-Vorstandsmitglied und Präsidentin der UNION schweizerischer komplementär medizinischer Ärzteorganisationen, vertritt den Dakomed in der Begleitgruppe. Sie setzt sich für die ganzheitlichen Ansätze der integrativen Medizin und die Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen (Ärzteschaft, Therapeutinnen und Therapeuten, Pflegefachpersonen) ein. Die Begleitgruppe erstellt mittels vertiefender Expertengespräche eine Bestandesaufnahme der aktuellen Versorgung. Zudem sollen eine gemeinsame Wissensbasis und ein gemeinsames Verständnis der Behandlung und Rehabilitation von Langzeitfolgen nach einer Covid-19-Infektion geschaffen werden.

Was kann die Integrativmedizin bewirken?
Feldhaus: Die Therapiekonzepte sind individuell an den Patienten angepasst und folgen auf eine umfassende Anamnese und Labor-Diagnostik. Mit beispielsweise der Ozontherapie, einem Eigenblutverfahren, können wir den Körper in seiner Ganzheit wieder ins Funktionieren bringen. Mit der orthomolekularen Medizin gehen wir das Mikronährstoff defizit an.

Die Therapiekonzepte sind individuell an den Patienten angepasst und folgen auf eine umfassende Anamnese und Labor-Diagnostik.

Wenn die Darmflora gestört ist, helfen Pro- und Präbiotika. Steht das vegetative Nervensystem im Vordergrund, arbeiten wir mit dem Körper, zum Beispiel mit craniosacraler Osteopathie oder Atemtherapie. Je nach Patienten verwenden wir auch Homöopathie und Phytotherapie. Wir nutzen beispielsweise die Mistel zur Energie- und Wärmesteigerung.

Herr Pöchtrager, in Ihrem Therapiekonzept nimmt die Mistel eine zentrale Rolle ein. Was kann sie?
Pöchtrager: Mit der Misteltherapie können wir auf den Wärmeorganismus und somit auf das Immunsystem des Menschen wirken. Damit schaffen wir therapeutisch eine akute Entzündungsreaktion und geben dem Körper erneut die Möglichkeit, die Viruspersistenz, also zurückbleibende Viruspartikel, zu überwinden. Die Viruspersistenz wird als eine von drei möglichen Ursachen für die Entstehung von Long- und Post-Covid-Syndromen diskutiert.

Fieber ist stark antibakteriell und antiviral wirksam und ein kräftiger Impuls für unser Immunsystem.

Ist eine solche Behandlung nicht auch riskant?
Pöchtrager: Fieber ist stark antibakteriell und antiviral wirksam und ein kräftiger Impuls für unser Immunsystem. In der Klinik Arlesheim haben wir viel Erfahrung mit Misteltherapie und Mistelfiebertherapie. Nicht für jeden kommt sie infrage, wir klären unsere Patientinnen und Patienten ausführlich auf. Die Mistelfiebertherapie birgt wenig Risiko, wenn man die Patientinnen und Patienten pflegerisch und ärztlich gut aufklärt und therapeutisch begleitet. So führt der Wärmeimpuls in der Regel zu einer körperlichen und seelischen Erfrischung und Kräftigung. Die stationäre Therapie ist einer der drei Pfeiler des Therapiekonzepts in der Klinik Arlesheim. Die beiden anderen beruhen auf der Anpassung des Lebensstils und auf einer integrativen, ambulanten Therapie, die allopathische und anthroposophische Medikamente, äussere Anwendungen und rhythmische Massage, Kunst und Bewegungstherapien umfasst.

Welche Erfolge erzielen die Behandlungsansätze?
Feldhaus: Etwa zwei Drittel der Patienten erfahren nach zwei bis drei Monaten eine deutliche Besserung. Aber wir müssen ehrlich sein, es gibt noch keine Langzeiterfahrung mit Post-Covid. Mit dem integrativen Ansatz ist es uns aber möglich, den Patienten auf mehreren Ebenen zu helfen.
Pöchtrager: In den Long- und Post-Covid-Sprechstunden schätzen es die Patientinnen sehr, dass sie ein Gegenüber haben, das sich mit dieser Erkrankung auseinandergesetzt hat und die Patienten versteht. Wir sagen ihnen: «Die Erkrankung ist schwer, langwierig, aber es wird in der Regel wieder gut.» Die Patienten erhalten wieder eine Perspektive. Aber es
braucht Geduld. Die allermeisten erfahren durch die Behandlung aber eine Besserung.

Die Patienten erhalten wieder eine Perspektive. Aber es braucht Geduld.

Kann man Post-Covid nicht einfach aussitzen?
Feldhaus: Ein Post-Covid-Syndrom schränkt die Lebensqualität stark ein. Ohne Therapie werden die Symptome noch länger fortbestehen. Übrigens sehe ich auch viele Post-Impf-Covid-Fälle. Würden akute Infektionen, so bin ich überzeugt, häufiger behandelt, liessen sich viele langwierige Post-Covid-Erkrankungen vermeiden.

Was sind Long- und Post-Covid?

  • Long-Covid: Beschwerden, die länger als vier Wochen nach Infektion auftreten oder fortbestehen.
  • Post-Covid: Beschwerden, die länger als zwölf Wochen nach Infektion auftreten oder fortbestehen

Was kann man selbst bei einer Erkrankung mit Long-/Post-Covid tun?
Pöchtrager: Gerade gestalten wir einen Flyer dazu, um die Selbstwirksamkeit in dieser Erkrankung zu steigern. Wesentlich ist die Stärkung der Gesundungskräfte. Dazu gehört: Rhythmus im Alltag und Pausen zu pflegen. Regelmässige Bewegung mit ausreichend Licht und Sonne. Gesunde Ernährung mit Nahrungsmitteln, die die Diversität des Mikrobioms fördern. Zudem gilt: ausreichend Schlaf, kein Alkohol, keine Zigaretten, wenig Zucker. Es ist zudem wichtig, soziale Kontakte zu pflegen und sich in innerer Ruhe und Achtsamkeit zu üben.
Feldhaus: Grundlegend ist auch, die Belastung des Körpers an seine Fähigkeiten anzupassen und Grenzen, die der Körper setzt, zu respektieren. Daneben sollte man alles tun, um die regenerativen Seiten des Körpers zu stärken. Wärmende Lebensmittel geben Energie. Alles, was der Leber guttut, hilft. Also Bitterstoffe wie Chicorée zu sich zu nehmen oder Leberwickel anzuwenden. Eine eher fett- und eiweissbasierte Ernährung ist fördernd. Auch ich möchte dazu aufrufen, nicht zu zögern, sich ärztliche Unterstützung zu suchen. Mein Eindruck ist: Je länger das Syndrom andauert, desto schwieriger wird die Behandlung.

Ist die integrative Medizin bei diesem Syndrom im Vorteil?
Pöchtrager: Auch die Integrativmedizin hat zu dieser Erkrankung kein abschliessendes Wissen und lernt mit jedem behandelten Patienten neu dazu. Post-Covid ist ein Chamäleon mit vielen Facetten, das nicht von einem einzigen Spezialisten behandelt werden kann. Es braucht neben Ärzten auch Therapeuten, die Pflege und den Patienten selbst.
Feldhaus: Die Schulmedizin hat klar ihre Stärken, aber auch Grenzen. Mit komplementärmedizinischen Ansätzen kann ich diese Grenzen verschieben. Es ist für mich immer ein Und, nicht ein Oder. Ob Long- und Post-Covid oder etwas anderes: Am Ende des Tages behandeln wir nicht eine Krankheit, sondern individuell den Menschen.


Dr. med. Severin Pöchtrager

Dr. med. Severin Pöchtrager

Dr. med. Severin Pöchtrager

Pöchtrager ist Leitender Arzt Innere Medizin der Klinik Arlesheim. Er studierte in Wien Humanmedizin, ist Facharzt für Allgemeine Innere Medizin und absolvierte an der Eugen-Kolisko-Akademie in Filderstadt die Anthroposophische Ärzteausbildung. «Für mich ist die Anthroposophische Medizin eine sehr zukünftige Medizin. Sie nimmt den Menschen in seiner Viel schichtigkeit wahr.»


Dr. med. Simon Feldhaus

Dr. med. Simon Feldhaus

Dr. med. Simon Feldhaus

Feldhaus ist Chefarzt der Paramed-Gruppe und leitet das Ambulatorium in Baar. Er studierte in Homburg/Saar Humanmedizin, verfügt über einen Facharzttitel in Allgemeinmedizin, Fähigkeitsausweise in Schmerztherapie und Phytotherapie und ist diplomierter Heilpraktiker und TCM-Therapeut. «Am Ende des Tages gilt nur, was für den Patienten am besten ist. Philosophiefrei.»


PDF-Flyer der Klinik Arlesheim
«Post- und Long-Covid-Syndrom. Empfehlungen aus der Inneren Medizin.»

Bilder: zvg, Tanya Karrer

 

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1 Kommentar

erich dr.heindler 30. Juni 2022 - 21:07

ihr beitrag zu longcovid behandlungen ist sehr interessant, vielleicht wäre das seminar von Dr. GUNTER NEEB AM 1.JULI im kulturpark zürich über die behandlung von longCOVID und Chronic Fatitigue Syndrom, eine gute ergänzung, der veranstalter ist die COMPLEMEDIS AG.
NEEB ist einer der besten fachleute und autoren der TCM

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