Startseite Therapien und Methoden Tierhaltung funktioniert auch ohne Antibiotika

Tierhaltung funktioniert auch ohne Antibiotika

von Olaf Müller
Bauersfrau hält Kuh die Hand zum Beschnuppern hin

Interview: Tanya Karrer

Die Biolandwirtin Eva Ulm verzichtet auf ihrem Hof in Bibern (Kanton Solothurn) seit Jahren auf Antibiotika, dank ausgeklügeltem Management und Komplementärmedizin. Sie zeigt, wie sich Medikamenteneinsätze und damit multiresistente Keime in der Land- und Viehwirtschaft reduzieren lassen.

Eva Ulm, auf Ihrem Biobauernhof halten Sie je nach Saison bis zu 40 Milchkühe und deren Kälber. Seit acht Jahren verzichten Sie in Ihrem Betrieb auf Antibiotika. Wie ist das machbar?

Eva Ulm:
Mit einer Optimierung des Betriebsmanagements und mit Prophylaxe. Hier sehe ich in der Schweizer Viehwirtschaft grundsätzlich noch brachliegendes Potenzial. Ich nehme mir die Natur zum Vorbild. Die Homöopathie und einzelne phytotherapeutische Anwendungen spielen da eine wichtige Rolle.

Was verstehen Sie unter einer Optimierung des Managements?
Zum Beispiel: In vielen Ställen werden die Kälber gleich nach der Geburt von der Mutter getrennt und weggesperrt. Die Kälber sind deshalb unter anderem anfälliger für Durchfallerkrankungen. Die Mutterkuh wiederum hat häufiger Probleme mit der Nachgeburt. Wir lassen die Kälber nach der Geburt bei der Mutter, die das Junge dann abschleckt und säugen lässt. Diese sogenannte Biestmilch sorgt beim Kalb für den Aufbau eines guten Immunsystems. Wird die Kuh wiederum gesäugt, geht die Nachgeburt besser ab. Dank dieses natürlichen Vorgangs haben unsere Tiere weniger Folgeerkrankungen.

Eva Ulm

Eva Ulm, Agraringenieurin ETH und Biolandwirtin, betreibt mit ihrem Partner Christoph Hauert den Gerbehof (www.gerbehof.ch) mit Bioproduktion in Bibern im Kanton Solothurn. Die studierte Agraringenieurin ist Vorstandsmitglied des Schweizer Vereins Kometian.

Und wenn ein Tier trotzdem krank wird? 
Dann wende ich in erster Linie homöopathische Mittel an. Der Einsatz von Homöopathie benötigt Geduld, Vertrauen und Erfahrung. Und viel Beobachtung. Kleine Zeichen, etwa, dass die Kuh wieder frisst oder die Ohren stellt, anstatt in sich gekehrt dazuliegen, zeigen mir, dass die Behandlung anschlägt. Wirkt die Behandlung nicht, dann habe ich womöglich etwas übersehen. Auch Fieber verstehe ich als Teil des Heilungsprozesses.

Kommt der Tierarzt überhaupt noch zu Ihren Kühen?
Zwischen Weihnachten und Neujahr kommt er vielleicht zweimal (lacht). Auf unserem Hof pflegen wir eine saisonale Abkalbung. Die Kühe kalben alle um dieselbe Zeit, das ist bei uns Ende Jahr. Der Tierarzt macht dann vorwiegend Substitutionstherapien, verabreicht unter anderem Kalzium bei Milchfieber, einer typischen Krankheit bei älteren Kühen. Kürzlich hatte sich eine Kuh ihr Horn bis auf den Knochen verletzt. Hier musste ich ihn ebenfalls beiziehen. Der Arzt steht einer homöopathischen Unterstützung offen gegenüber, die Mittelwahl überlässt er jedoch mir.

Wie fanden Sie zur Homöopathie?
Während eines Praktikums 1992 für mein Studium an der ETH kam ich erstmals mit den Kügelchen in Berührung. Es entsprach mir, da wir auch zu Hause nicht wegen jedem Wehwehchen zum Arzt rannten. Ein Vorwurf an die Komplementärmedizin ist ja manchmal, dass die Tiere leiden müssten, wenn der Tierarzt nicht gerufen wird. Das richtige homöopathische Mittel kann aber sehr schnell wirken. Voraussetzung dafür ist seine kompetente Anwendung. Dazu gehört auch, die Grenzen der Selbstbehandlung zu kennen. Denn sie geht mit einer grossen Verantwortung einher.

Der One-Health-Ansatz

Die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt ist eng miteinander verknüpft. Die Lebenswelten von Menschen und Tieren kommen sich immer näher, dadurch können Krankheiten leichter überspringen. Der One-Health-Ansatz koordiniert die Zusammenarbeit zwischen den Bereichen, damit alle gesund bleiben.

Der One­-Health-­Ansatz verbindet die Gesundheit von Menschen, Tieren, Pflanzen und Umwelt. Ist das eine gesund, fördert es die Gesundheit des anderen. Stimmen Sie damit überein?
Ja, alles ist miteinander verbunden. Der Mensch hat Einfluss auf das Tier und umgekehrt. Jeder Betrieb ist dabei wie ein eigener Mikrokosmos. Als mein Partner und ich den Hof 1998 übernommen haben, waren die Tiere angebunden und litten häufig an Klauen- oder Fruchtbarkeitsproblemen. Eine Kuh hat einen natürlichen Bewegungsdrang, das Anbinden entspricht nicht ihrem natürlichen Wesen.

Das richtige homöopathische Mittel kann sehr schnell wirken. Voraussetzung dafür ist seine kompetente Anwendung.

Mit der natürlicheren Haltung verbesserte sich die Gesundheit der Tiere und der Medikamenteneinsatz reduzierte sich. Solche Massnahmen verstehe ich auch unter der eingangs erwähnten Optimierung des Managements.
Zur Optimierung zählt auch, dass Sie keine fremden Kälber und Kühe mehr zukaufen?
Vor einigen Jahren erlitt eine Mutterkuh eine Fehlgeburt. Um die Milchproduktion trotzdem anzuregen, kauften wir nur gerade vom Nachbarhof ein Kalb zu, damit sie es säugen konnte. Man würde denken, beim Nachbarn zirkulierten ähnliche Mikroorganismen wie bei uns. Doch wir hatten anschliessend über längere Zeit mit Husten und anderen Gesundheitsproblemen bei den Tieren zu kämpfen.

Multiresistente Keime können auch im Mist oder im Garten vorkommen.

Eine Untersuchung von Janine Braun vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL zeigte kürzlich, dass multiresistente Keime mittlerweile überall vorkommen können. Im Garten oder im Mist, nur weil man zum Beispiel einmal Stroh von einem mit Antibiotika arbeitenden Hof zukaufen musste. Viele werden so schnell Teil eines Systems, selbst wenn sie es nicht wollen. Die Landwirtschaft und auch die Bundesämter haben die Augen zu lange vor dieser Thematik verschlossen.

Was würden Sie empfehlen, wenn jemand mit Komplementärmedizin Antibiotika im Viehbetrieb reduzieren möchte?
Die Geduld nicht zu verlieren. Man benötigt Durchhaltewillen und Erfahrung. Dieselben Massnahmen wirken nicht in jedem Betrieb gleichermassen, sie müssen angepasst werden. Bestandsbehandlungen in grossen Geflügel- oder auch in Schweinemastbetrieben können ohne professionelle Betreuung zum Verlust des gesamten Bestands führen. Bei einzeln gehaltenen Tieren wie Schweinen, Schafen, Ziegen oder Kühen kann man sich hingegen vorsichtig an die Homöopathie herantasten.  Allgemein ist die Hürde zum Einstieg bei den Milchkühen niedriger als bei anderen Tierarten. Für die Verarbeitung der Milch von mit Antibiotika behandelten Kühen bestehen Sperrfristen. Dies bietet einen gewissen Anreiz, Alternativen anzuwenden.

Wo steige ich als Viehhalterin also ein?

Gelbe Blüte einer Gelsemium-Heilpflanze

Eva Ulm empfiehlt Gelsemium als Einstiegsheilmittel der Veterinär-Homöopathie.

Zum Einsteigen bietet sich die erste Geburt einer Kuh an. Ihr Geburtskanal ist noch eng. Sie hat Schmerzen, ist nervös. Hier gibt es ein homöopathisches Mittel, Gelsemium, das seine Wirkung zuverlässig innerhalb von fünf Minuten entfaltet.

Wichtig scheint mir, dass es mit Kometian eine gute Anlaufstelle gibt, wo man sich informieren und beraten lassen kann.

So lässt sich Erfahrung sammeln. Um Husten vorzubeugen, geben wir unseren Kälbern zudem Tannenzweige zum Knabbern. Das ist ein einfaches Beispiel aus der Phytotherapie. Aber genauso wichtig scheint mir, dass es mit dem Verein Kometian eine gute Anlaufstelle gibt, wo sich Halter und Halterinnen niederschwellig informieren und beraten lassen können. Seit letztem September ist Beratung ganz einfach per Telefonanruf möglich.


Weitere Artikel zum Thema Antibiotika-Einsatz

Bildmontage von natürlichen Heilmitteln und Pillen
One Health: Gemeinsam Antibio­tika-Resi­stenzen redu­zieren

Referate zum Publikums­­anlass «Redu­­zier­ter Anti­­bio­­tika-Ein­satz dank Kom­ple­­men­tär-Medi­zin 2022». weiterlesen >

Mutterkuh beschnuppert ihr Kalb auf einer Wiese
Globuli verrin­gern den Anti­bio­tika-Einsatz auf dem Bauernhof

Mit komple­mentär­medizi­nischer Behand­lung lässt sich der Anti­bio­tika­ver­brauch in der Land­wirt­schaft senken. weiterlesen >

Erfahrener Tierarzt untersucht Mops auf Behandlungstisch
Homöo­pathie: Eine ganz­heit­liche, sanfte Behand­lungs­methode für das Tier.

Tier­arzt Dr. Andreas Schmidt zählt zu den Pionie­ren der Tier­homöo­pathie in der Schweiz. weiterlesen >


Fachberatung:

Bilder: Tanya Karrer / Anastasia Shuraeva, Pexels.com

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Jede noch so kleine Spende hilft, künftige Beiträge zu ermöglichen. Herzlichen Dank!

Diesen Beitrag teilen

2 Kommentare

Raisle 1. Juni 2023 - 16:59

wunderbar informativ dieser Artikel, zu einem Thema, dass schon längst überfällig ist
Herzlichen Dank

Antworten
Olaf Müller 1. Juni 2023 - 18:20

Liebe Raisle, danke für Ihre Zustimmung. Wir sind selbst beeindruckt von den Argumenten der sympathischen Bäuerin.

Antworten

Schreiben Sie einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Bleiben Sie informiert

und erhalten Sie per E-Mail eine Auswahl der besten Artikel und Informationen.

 

Millefolia:
natürlich
gesund
vielseitig

 

Millefolia-Newsletter: ausgewählte Artikel, Tipps und Veranstaltungen
Dakomed-Newsletter: Informationen zu politischen Entwicklungen und Verbandsaktivitäten

Welche unserer Newsletter möchten Sie abonnieren?

Vielen Dank! Wir haben Ihnen eine E-Mail gesendet, bitte bestätigen Sie Ihre Anmeldung durch Klick auf den Link.

Tenez-vous au courant

en recevant par courriel une sélection des meilleurs articles et informations. 

 

Millefolia :
Nature
Santé
Diversité

 

Infolettre Millefolia : articles choisis, conseils, manifestations
Infolettre Fedmedcom : informations sur l’évolution politique et les activités des associations

Infolettres désirées

Merci beaucoup ! Nous vous avons envoyé un e-mail, veuillez confirmer votre inscription en cliquant sur le lien.