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Was genau ist Anthro­poso­phische Medizin, Frau Mennet-von Eiff?

von Olaf Müller
Lächelnde, braunhaarige Dame mit beigem Leinenjacket in einem Bikrenwäldchen

Sie will die Anthro­poso­phische Medizin möglichst vielen Menschen zugäng­lich machen – dieses Ziel verfolgt Dr. pharm. Mónica Mennet-von Eiff als Leiterin der Pharma­sparte des Natur­kosmetik- und Arznei­mit­tel­her­stellers Weleda AG und als Vorstands­mitglied des Schweize­rischen Verbands für komple­­­men­­­tär­­­medi­­­zinische Heil­mittel SVKH. Was die Anthro­poso­phische Medizin auszeichnet und welchen Heraus­forde­rungen sie sich gegen­über­sieht, erläutert die Apothe­kerin im Inter­view.

Interview: Karin Meier

Anthro­poso­phische Medizin ist ein ganz­heit­liches Therapie­system, das auf der Schul­medizin aufbaut

Mónica Mennet-von Eiff, was genau ist Anthro­poso­phische Medizin?

Auf Parkettboden Sitzende rührt mit einem Pinsel blaue Farbe auf einer Malpalette an

Auch Kunsttherapie gehört zum ganzheitlichen Therapiesystem der Anthroposophischen Medizin.

Mónica Mennet-von Eiff: Anthro­poso­phische Medizin ist ein ganzh­eit­liches Therapie­system, das auf der Schul­medizin aufbaut. Alle anthro­poso­phischen Ärzt­innen und Ärzte sind an Univer­sitäten aus­gebil­dete Schul­mediziner. Sie berück­sich­tigen für die Diagnose aller­dings den Menschen als Ganzes inklu­sive seiner Biografie. Ausserdem beziehen sie Natur­heilmittel und Methoden wie Kunst­therapie, Bewegungs­therapie oder Ernäh­rung in die Therapie mit ein.

Dr. pharm. Mónica Mennet-von Eiff hat an der Univer­­sität Basel Pharmazie studiert und promo­­viert. Seit 1994 ist die Pharma­­zeutin am Haupt­sitz der Weleda AG in Arles­heim bei Basel tätig. Das inter­natio­nale Unter­­nehmen stellt anthro­­po­so­­phische Arznei- und Körper­pflege­mittel her. Seit dem 1. Juli 2024 leitet Mónica Mennet-von Eiff den Geschäfts­bereich Pharma der Weleda AG. Ihre Exper­tise im Bereich anthro­poso­phische Arznei­mittel bringt sie auch im Schweize­­rischen Verband für komple­­­men­­­tär­­­medi­­­zinische Heilm­ittel SVKH ein, wo sie seit vielen Jahren im Vorstand mitwirkt.

Bei welchen Beschwerden wird die Anthro­poso­phische Medizin einge­setzt?

Die Anthro­poso­phische Medizin kann wie die Schul­medizin für alle Krank­heits­bilder angewandt werden. Man findet unsere Medizin deshalb auch in Spitälern und Kliniken, wo sie in verschie­denen Bereichen einen Beitrag leistet. Beispiele sind die Kinder­heilkunde, die Geburts­hilfe, chro­nische Krank­heiten, die Begleitung des älter werdenden Menschen, psycho­soma­tische Erkran­kungen und die Notfall­medizin. In Letzte­rer kann sie mittels Injek­tions­präpa­raten zum Beispiel zur raschen Beruhi­gung bei extremen Angst- und Unruhe­zuständen eingesetzt werden.

Anthro­poso­phische Medizin ist nicht gleich­zusetzen mit der Anthro­poso­phie, die einen viel grös­seren philoso­phischen Rahmen bildet. Ihnen ist diese Unter­scheidung wichtig, warum?

Junge Mutter mit Kind an der Hand läuft über Frühlingswiese auf das Goetheanum zu

Anthroposophie wirkt in vielen Bereichen wie Architektur, Landwirtschaft oder Pädagogik.

Anthro­poso­phie ist eine Erkennt­nis­methode, die viele Felder des Lebens befruchtet hat, etwa Päda­gogik, Land­wirt­schaft oder Archi­tektur. Weil ihnen ein ganzheitliches Verstän­dnis des Menschen und der Natur gemein ist, weisen diese Felder einige Schnitt­mengen mit der Anthro­poso­phischen Medizin auf. In der Therapie liegt der Fokus darauf, die Patient­innen und Patienten mithilfe von natür­lichen Substanzen zu befä­higen, ihre eigenen Kräfte zu stärken und die Krank­heit zu über­winden.

Sie sprechen die Arznei­mittel an, die aus natür­lichen Substanzen hergestellt werden. Wie unter­scheiden sich anthro­poso­phische und schulmedi­zinische Medikamente in ihrer Wirkweise?

Mit natürlichen Substanzen arbeitet man oft im Bereich der Regulationsmedizin. Dabei versetzt man dem menschlichen Organismus mit der Gabe einen Impuls. Da wir oft komplexe Naturstoffe einsetzen, die ganz unterschiedliche Punkte des Organismus anregen, sprechen wir von einer Netzwerkpharmakologie. Der Impuls stösst die Regulation innerhalb der biochemischen Kaskaden im Organismus an, sodass sich ein neues Gleichgewicht bilden kann. Dies kann mittels Stärkung, Hemmung oder Harmonisierung der Kaskaden geschehen.

Anthro­poso­phische Medizin ist nicht gleichzusetzen mit der Anthroposophie, die einen viel grösseren philosophischen Rahmen bildet.» Mónica Mennet-von Eiff

In der Pharmakologie kennt man dieselben Wirkweisen, nur werden sie dort Mimetik, Inhibition beziehungsweise Modulation genannt. Die Wirkweisen der anthroposophischen Medizin und der Schulmedizin unterscheiden sich also nicht grundsätzlich. Allerdings sehen wir die Wirkweise der anthroposophischen Arzneimittel nicht auf die biochemische Ebene beschränkt. Vielmehr betrachten wir die Therapiefolge auf den Menschen als Ganzes, etwa auf seine Gefühle und Gedanken.

Wir haben über die Gemein­sam­keiten mit der Schul­medizin gesprochen. Wie ist die Anthro­poso­phische Medizin innerhalb der Komple­men­tär­medizin zu verorten?

Anthro­poso­phische Medizin weist viele Gemeinsam­keiten mit anderen komple­­­men­­­tär­­­medi­­­zinischen Systemen wie der ayur­vedischen oder der chinesischen Medizin auf, weil auch diese den Menschen ganz­heit­lich betrachten. Anknüp­fungs­punkte zur Phyto­therapie gibt es bei den Heilmitteln. Bei der Herstel­lung nutzen wir zudem unter anderem homöo­pathische und spagy­rische Herstell­ver­fahren. Unsere Medizin ist sehr viel­seitig.

Können Sie die Breite der Herstel­lungs­verfahren etwas ausführen?

Digestio-rhythmisches Extraktionsverfahren mit Temperaturwechseln von 4 bis 37 Grad Celsius

Digestio: rhyth­mi­sches Extrak­tions­ver­fahren mit Tempe­ratur­wech­seln von 4 bis 37 °C.

Die Breite zeigt sich besonders deutlich bei Pflanzen­extrakten. Normaler­weise werden sie bei Raum­tempe­ratur mit einer Mischung aus Alkohol und Wasser oder nur mit Wasser herge­stellt. In der anthroposophischen Medizin kennen wir weitere Extrak­tions­verfahren.

Dazu zählen ein rhythmi­sches Ver­fahren, bei dem zwischen Tempe­raturen von 4 bis 37° Celsius gewechselt wird, eine Digestio bei 37 °C, Infu­sionen, Auskochungen bei 100 °C sowie Destil­lationen. Weiter arbeiten wir mit Minera­lien und Metallen. Dank der Breite der Herstel­lungs­ver­fahren können wir sehr spezi­fisch auf indivi­duelle Therapie­ziele eingehen.

Der Schweizerische Verband für komple­­­men­­­tär­­­medi­­­zinische Heilmittel SVKH, in dem Sie im Vorstand sitzen, stellt fest, dass in der Schweiz immer weniger komplementärmedizinische Präparate zugelassen werden. Was sind die Gründe?

Ein blondes Mädchen schnuppert auf einer Wiese an gelben BlütenDie Herstellung von Arzneimitteln ist wegen der Regelwerke und Vorschriften der «Good Manufacturing Practice» (gute Herstellungspraxis) enorm aufwändig, zumal natürliche Arzneimittel nur in kleinen Mengen produziert werden und ihre Herstellung nicht so standardisierbar ist wie diejenige von chemisch-synthetischen Wirkstoffen.

Dann stellen wir fest, dass die Märkte mit Nahrungs­ergän­zungs­mitteln geflutet werden. Für diese Produktkategorie gelten ganz andere Anforderungen an Qualität und Sicherheit und es bestehen viel mehr Freiheiten bei der Vermarktung und Bewerbung.

Der Fokus liegt darauf, die Patientinnen und Patienten mithilfe von natürlichen Substanzen zu befähigen, ihre eigenen Kräfte zu stärken und die Krankheit zu überwinden.» Mónica Mennet-von Eiff

Bei manchen Arzneimitteln hingegen darf man nur gerade den Namen des Produkts angeben. Einige komple­­­men­­­tär­­­medi­­­zinische Hersteller versuchen deshalb, ihre Produkte als Nahrungs­ergän­zungs­mitteln zu vertreiben. Für den grössten Teil unseres Sorti­ments ist dies nicht möglich, auch wenn wir selbst einige wenige Nahrungs­ergän­zungs­mitteln anbieten.

Sie leiten die Pharma­sparte der Weleda AG, diese wurde gerade erst von der Natur­kosmetiks­parte getrennt. Warum dieser Schritt?

Die Naturkosmetik finanziert die Pharmasparte momentan noch mit. In Zukunft soll sie selbsttragend sein. Mit ca. 800 Arzneimitteln allein in der Schweiz und in Deutschland ist unser Sortiment sehr gross. Das erklärt sich aus unserer Geschichte und unserem Bestreben, für die anthro­poso­phische Therapie­richtung Arzneimittel zur Verfügung zu stellen und eine individualisierte Therapie zu ermöglichen. Zudem wollen wir unsere Medizin möglichst vielen Menschen zur Verfügung stellen. Viele unserer Arzneimittel waren und sind deshalb bislang auf der sogenannten Spezialitäten-Liste (SL) aufgeführt.

Man findet unsere Medizin auch in Spitälern und Kliniken.» Mónica Mennet-von Eiff

Dies bedeutet, dass einige über die Grund­ver­sicherung abge­rechnet werden. Allerdings besteht für Arznei­mittel auf dieser Liste eine Preis­bindung. Eine Preis­erhöhung wurde in den vergangenen zehn Jahren nie ange­nommen, nicht einmal ein Teuerungs­ausgleich. Um selbst­tragend zu werden, mussten wir die Preise einiger Arznei­mittel erhöhen und fielen so aus der Speziali­täten­liste heraus. Über­dies zentra­lisierten wir die Arznei­mittel­herstellung und produ­zieren auch für Mit­bewerber Arznei­mittel. Weitere Mass­nahmen zur Verbes­serung der Wirt­schaft­lich­keit werden noch umgesetzt.

Frau in blauem T-Shirt recht im Heilpflanzengarten

Die Herstellung von natürlichen Arzneimitteln ist aufwändig und mit viel Handarbeit verbunden.

Sie sind international vernetzt und tätig. Wie ist der Stand der anthroposophischen Medizin in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern?

Die Schweiz, Deutsch­land und Brasilien sind die­jenigen Länder, in denen die Anthro­poso­phische Medizin am besten im Rechts­rahmen verankert und als selbst­ständige Therapie­richtung inner­halb der Komple­men­tär­medizin aner­kannt ist. Diese Länder weisen eine lange Tradi­tion der anthroposophischen Arznei­mittel auf und sind generell offen gegen­über Komplementärmedizin.


Erfahren Sie mehr über Anthro­poso­phi­sche Medizin, Komple­men­tär­medizin und Natur­heil­mittel in diesen Mille­folia-Beiträgen:


Den Menschen als Ganzes betrachten

Die Anthro­poso­phische Medizin betrachtet den Menschen als Ganzes, also auch seine Gefühle und Gedanken – was halten Sie von diesem Ansatz? Wir freuen uns auf Ihre Kommen­tare!


Bilder: zVg Weleda AG / Matthieu Jungfer – Unsplash.com / Goetheanum – Unsplash.com / zVg Weleda AG / Casey Murphy – Unsplash.com / zVg Weleda AG – Barbara von Woellwarth

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1 Kommentar

D.Lemann 18. August 2024 - 15:39

sehr gute und herzliche Einführung in die anthroposophische Medizin.Danke

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