Startseite Meinungen Die Wünsche der Patientinnen und die Erfahrung der Ärzte zählen auch

Die Wünsche der Patientinnen und die Erfahrung der Ärzte zählen auch

von Olaf Müller
Junges Paar tollt mit zwei Kindern im Abendlicht auf einem Feldweg

Nachdem der Nationalrat einem Vorstoss von Philippe Nantermod (FDP, VS) gefolgt ist, der die Komple­men­tär­medi­zin faktisch aus der Grundversicherung kippen will, zeigt Gisela Etter auf, was dieser Entscheid für Ärztinnen und Patienten bedeuten würde und dass er den Volkswillen missachtet. Gisela Etter ist Präsidentin der UNION Schweize­rischer komple­men­tär­medi­zini­scher Ärzteorgani­sationen und Vorstands­mitglied des Dachverbands Komple­men­tär­medi­zin.

Von Gisela Etter

Grosse Nachfrage nach Komple­men­tär­medi­zin

Die Komple­men­tär­medi­zin hat sich seit ihrem deutlichen Zustimmungserfolg 2009 durch das Schweizer Stimmvolk zu einem nicht wegzu­denkenden Pfeiler der medizinischen Versorgung entwickelt. Die vier Methoden Anthroposophische Medizin, Homöopathie, Phytotherapie und Traditionelle Chine­sische Medizin (TCM) inklusive Akupunktur werden von Ärzt­­innen und Ärzten landes­weit praktiziert, in Praxen und Kliniken, und als integrative Medizin, die die besten Behandlungen aus verschie­­denen medizinischen Diszi­plinen kombiniert.

Die Komple­men­tär­medi­zin hat sich zu einem nicht wegzu­denkenden Pfeiler der medizi­nischen Versor­gung entwickelt.»

Diese Ärztinnen und Ärzte verfügen über Facharzttitel und entsprechende Zusatzweiterbildungen, die vom Schweize­rischen Institut für ärzt­liche Weiter- und Fortbildung (SIWF) anerkannt sind. An mehreren Universi­täts­spitä­lern geht die Behand­lung von Patien­tinnen und Patienten Hand in Hand mit Forschungs­projekten:  Basel, Bern,  Lausanne und  Zürich haben komple­men­tär­medi­zini­sche Insti­tute aufgebaut. Und der Verfas­sungs­artikel hat die Voraus­setzungen für eidge­nös­sische Diplome für Natur­heil­prak­tiker­innen und Komple­men­tär­thera­peuten geschaffen.

Lächelndes Mädchen mit Teddybär im Arm wird vom Kinderarzt untersucht

Eltern wünschen sich oft Komple­men­tär­medi­zin von Kinderärztinnen.

Die UNION Schweize­rischer komple­men­tär­medizinischer Ärzte­­organi­sationen (UNION) vereinigt als Dach­­verband über tausend Ärzt­innen und Ärzte, die Komple­men­tär­medizin mit Fähig­keits­a­us­weisen prakti­­zieren. Eine Zahl, die die Nach­frage der Bevöl­kerung bei weitem nicht abdeckt, wenn man zum Beispiel sieht, dass fast 100 Prozent der Kinder­ärzt­innen und Kinder­ärzte von den Eltern nach Komple­men­tär­medi­zin gefragt werden, wie eine Erhebung von 2019 zeigt.

Studien bilden die tägliche Praxis nur unvollständig ab

Medizinische Methoden abzulehnen, weil der Wirkmechanismus nicht geklärt ist, oder nach heutigem Wissensstand unplausibel erscheint, würde bedeuten, dass wir eine Vielzahl von dem, was wir im medizinischen Berufsalltag anwenden, nicht mehr benützen dürften. Für über 9 von 10 untersuchten medizinischen Interventionen gibt es keine zuverlässige positive Evidenz, wie eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2022 zeigt.

Deshalb ist die Wirksamkeit einer medizinischen Massnahme in der Praxis-Anwendung ebenso wichtig wie die Wirksamkeit unter Studienbedingungen.»

Labor-Angestellte mit Schutz­brille bereitet eine Analyse in einer Glasschale vor

Evidenz­basierte und patien­ten­orien­tierte Medizin in Praxis, Lehre und Forschung.

Doch Studien bilden die tägliche Praxis im medizi­nischen Berufs­alltag nur unvoll­ständig ab. Das hat unter anderem damit zu tun, dass das Leben in weiten Teilen nicht messbar ist, Menschen sehr verschieden sind, indi­vi­duelle Bedürf­nisse haben und oft unter mehrfachen Erkrankungen leiden. Deshalb ist die Wirksamkeit einer medizinischen Mass­nahme in der Praxis-Anwen­dung ebenso wichtig wie die Wirksamkeit unter Studienbedingungen. Evidenzbasierte Medizin, so wie sie von ihrem Begründer David Sackett gedacht ist (siehe auch Infobox), stützt sich deshalb auf diese drei Säulen: Wissen aus Studien, Erfahrungswissen der Ärztinnen und Ärzte und die Wünsche der Patientinnen und Patienten.

Was ist evidenzbasierte Medizin?

Evidenz­basierte Medizin fördert den «bewussten und am Patien­ten­wohl orien­tierten Gebrauch der jeweils besten empirischen Evidenz für Entschei­dungen in der Gesund­heits­ver­sorgung von Indi­viduen oder ganzer Bevöl­kerungs­gruppen», so die Defi­nition des Deutschen Netz­werks Evidenz­basierte Medizin (DNEbM). Das Netzwerk ist das Kompetenz­zentrum für evidenz­basierte Medizin im deutsch­sprachigen Raum. Ziel und Zweck des inter­diszipli­nären und berufs­poli­tisch neutralen DNEbM ist, Konzepte und Methoden einer evidenz­basierten und patien­ten­orien­tierten Medizin in Praxis, Lehre und Forschung zu verbreiten und weiter­zuent­wickeln.

Als Begründer der evidenz­basierten Medizin gilt David Sackett, der sie schon 1997 in einem wissen­schaftlichen Artikel beschrieb.

Hände bearbeiten Blüten von Heilpflanzen über einem Steinmörser

Alle Medizin beruht zu weiten Teilen auf Erfahrung.

Die Menschen wollen mehr als einen «One Fits All»-Ansatz

Medizin beruht zu weiten Teilen auf Erfah­rung, und medi­zini­sche Empfeh­lungen der Fach­gesell­schaften stützen sich zum grossen Teil auf Experten­mei­nungen. Psycho­pharmaka wirken zum Beispiel gemäss der Studien­lage nicht besser als Placebo, dennoch zeigen sie in der Praxis eine Wirkung, weshalb sie auch weite­rhin zu Recht und erfolg­reich ange­wendet werden.

Das Erfahrungs­wissen von Ärztinnen und Ärzten, die Komple­men­tär­medi­zin anwenden, ist gross, und die Studien­lage ist besser als gemeinhin kommuniziert. Und die Komple­men­tär­medi­zin ist in der Bevölkerung deshalb so beliebt, weil die Menschen gute Erfah­rungen damit machen. Aus all diesen Gründen ist integrative Medizin in der Schweiz längst eine Realität, sowohl im medi­zini­schen Alltag als auch in der Forschung – entsprechend den Wünschen der Mehrheit der Menschen in der Schweiz, die bei gesund­heit­lichen Beschwerden mehr als einen «One Fits All»-Ansatz begrüssen.

Hinter unserer Geschichte

Im Rahmen seiner Serie «Die blinden Flecken der Wissen­schaftler» hat der «Nebel­spalter»-Redaktor Alex Reichmuth die Homöo­pathie angegriffen. Die Methode wider­spreche funda­men­talen Natur­esetzen, ihre Wirk­samkeit habe nie belegt werden können. Die hier publi­zierte Gegen­dar­stellung von Gisela Etter veröffentlichte der «Nebelspalter» online am 24.9.2024.


Lächelnde Autorin Gisela Etter mit langen dunkelblonden Haaren vor blauem HintergrundDie Autorin

Gisela Etter, Präsidentin der UNION Schweize­rischer komple­men­tär­medi­zini­scher Ärzte­organi­sationen, setzt sich für eine inte­gra­tive Medizin ein, die die besten Behand­lungen aus verschie­denen Disziplinen kombiniert.

 


Worauf vertrauen Sie?

Vertrauen Sie auf die Erfah­rung Ihrer Ärztin oder Ihres Thera­peuten – oder sind Ihnen reine wissen­schaft­liche Fakten lieber? Schreiben Sie gerne einen Kommen­tar für unsere Leser*innen!


Bilder: Freepik.com / Freepik.com / DC Studio ― Freepik.com / Jan Krukov ― Pexels.com

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Jede noch so kleine Spende hilft, künftige Beiträge zu ermöglichen. Herzlichen Dank!

Diesen Beitrag teilen

Schreiben Sie einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..

Bleiben Sie informiert

und erhalten Sie per E-Mail eine Auswahl der besten Artikel und Informationen.

 

Millefolia:
natürlich
gesund
vielseitig

 

Millefolia-Newsletter: ausgewählte Artikel, Tipps und Veranstaltungen
Dakomed-Newsletter: Informationen zu politischen Entwicklungen und Verbandsaktivitäten

Welche unserer Newsletter möchten Sie abonnieren?

Vielen Dank! Wir haben Ihnen eine E-Mail gesendet, bitte bestätigen Sie Ihre Anmeldung durch Klick auf den Link.

Tenez-vous au courant

en recevant par courriel une sélection des meilleurs articles et informations. 

 

Millefolia :
Nature
Santé
Diversité

 

Infolettre Millefolia : articles choisis, conseils, manifestations
Infolettre Fedmedcom : informations sur l’évolution politique et les activités des associations

Infolettres désirées

Merci beaucoup ! Nous vous avons envoyé un e-mail, veuillez confirmer votre inscription en cliquant sur le lien.